Solang die Welt noch schläft (German Edition)
bei den Streckenposten Versorgungsstationen einzurichten?«
Susanne Lindbergs Verlobter nickte. »Wir werden circa alle zweihundert Kilometer heiße Suppe, Getränke und Kuchen anbieten. Wer sich auf andere Weise versorgen möchte, muss seine Verpflegung selbst mitbringen, es hat ja doch jeder Fahrer seine eigenen Vorlieben, ich sage nur Coca …« Er und Leon grinsten sich verschwörerisch an.
»Auf tausend Kilometern kann Mensch und Maschine viel passieren. Habt ihr denn schon einen Arzt und einen Mechaniker?«, fragte Josefine. Sollte sie tatsächlich mitfahren, würde sie sich im Falle einer Panne zu helfen wissen, aber wie sah das bei den anderen aus?
Die Dänin verneinte. »Kennst du etwa jemanden?«
»Vielleicht.« Josefine zuckte betont gelassen mit den Schultern, während sie vor Aufregung kaum an sich halten konnte. Gerd Melchior wäre genau der richtige Mann für Reparaturen aller Art! Sie würde ihm gleich heute Abend einen Brief schreiben. Bestimmt wäre er froh, einmal etwas anderes als Gefängnisgitter zu sehen.
Luise Karrer verzog den Mund und sagte: »Wir können ja Doktor Gerhard Gropius fragen, ob er uns begleiten mag.«
Die anderen Frauen des Vereins stöhnten oder lachten auf, während Susanne Lindberg und ihr Verlobter ratlos dreinschauten – von Gropius’ Hass auf die Fahrerinnen wussten sie nichts.
»Seine Frau könnten wir aber wirklich fragen«, sagte Isabelle, als das Gelächter abgeebbt war. »Früher, als Clara noch mit uns Velo gefahren ist, hatte sie immer Verbandmaterial und eine gute Heilsalbe dabei, erinnerst du dich, Jo? Und als Tochter eines Apothekers kennt sie sich mit Platzwunden und aufgeschlagenen Knien ganz gut aus.«
Josefine seufzte. »Deine Idee hat nur einen Haken: Gerhard Gropius würde seiner Frau nie erlauben, mit uns nach Dänemark zu fahren.«
Während sich im ganzen Saal kleine Diskussionen entspannen, trat Josefine an eins der Fenster und öffnete es einen Spalt. Sofort drang das Zirpen der sommerlichen Nachtinsekten in ihr Ohr. Die Luft roch würzig und süß und nach den Gerüchen aus der weiter links liegenden Küche des Vereinsheims. Jo schloss für einen Moment die Augen und blendete die aufgeregten Stimmen ihrer Vereinskameraden aus. Es wurde still in ihrem Kopf.
Sollte sie oder sollte sie nicht? Susanne Lindbergs Angebot war so unglaublich verführerisch … Seit Adrians Abreise bestand ihr Leben nur noch aus Arbeit und Fahrradfahren. Nun jedoch sah es so aus, als würde endlich wieder einmal etwas Spannendes geschehen!
Das Geld, um ein solches Unterfangen zu finanzieren, hatte sie. Solang Adrian in Amerika war, hatte sie auch genügend Zeit zum Trainieren. Und wenn er im Spätherbst zurückkam, würde er sie bei ihrem Training unterstützen können.
Jo lächelte. Adrian würde ganz schön staunen. Aber was er konnte, konnte sie schon lange! Sie würde beweisen, dass ein Fahrrad nicht nur in Männerhand, sondern auch mit einer Frau als Fahrerin sehr leistungsfähig war. Und was ihre Werkstatt anging – die würde sie eben für ein paar Tage schließen müssen.
Josefine wandte sich wieder dem Geschehen im Raum zu. Sie holte tief Luft, dann sagte sie laut: »Also, wenn ihr mich gebrauchen könnt … Ich würde gern mitfahren!«
Augenblicklich verstummten die Einzelgespräche, alle Augenpaare richteten sich auf die Erste, die eine Zusage wagte.
»Ich würde es vielleicht auch wagen«, sagte Isabelle gedehnt und tauschte einen Blick mit Leon.
»Braucht ihr zufällig auch noch einen fähigen männlichen Radfahrer?«, mischte er sich daraufhin ins Gespräch.
Lindberg und Hansen bejahten – sie würden nicht nur einen Mann, sondern mehrere benötigen, und zwar als Begleitschutz für die Damen, hieß es. Vor allem Charles Hansen war höchst angetan von der Aussicht, dass der berühmte Leon Feininger das Rennen mitfahren wollte.
»Ich fahre auch mit«, sagte Irene, bevor sich eine Diskussion um die weiteren Herren entwickeln konnte.
»Aber nicht ohne mich!«, rief Luise Karrer. Alle lachten.
Auch Susanne Lindberg lächelte. »Natürlich müssen Charles und ich noch mit jeder von euch Einzelgespräche führen, um uns von eurer Leistungsfähigkeit und eurem Kampfgeist zu überzeugen. Aber wenn diese Gespräche positiv ausfallen, und davon gehe ich aus, dann hätten wir drei, nein, vier deutsche Fahrerinnen, sehr gut!«
»Würdest du auch noch eine fünfte teilnehmen lassen?«, sagte Jo. »Ich habe eine Fahrerin im Sinn, die mehr als
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