Solang die Welt noch schläft (German Edition)
Radlerinnen. Eine Handvoll von ihnen hat mir ihre Teilnahme schon zugesichert. Aber Charles und ich, wir wollen das Rennen international gestalten. Wir wollen zeigen, dass nicht nur dänische Frauen, sondern auch Frauen aus England und Deutschland sehr leistungsfähig sind.«
»Vergiss die Französinnen nicht!«, rief Chloé. »Wir Französinnen sind euch allen im Velofahren um einiges voraus, denkt nur an das Rennen Paris – Rouen, an dem haben schon vor sieben Jahren etliche Frauen teilgenommen!«
Susanne Lindberg nickte ein wenig säuerlich. »Keine Sorge, wir sind auch mit einigen französischen Fahrerinnen im Gespräch.«
Unwirsch schaute Josefine die Vereinskameradin an. Wen interessierten die Französinnen?
»Du willst also ein paar gute Fahrerinnen rekrutieren – verstehe ich das richtig?«, sagte Isabelle.
Susanne Lindberg nickte.
»Tausend Kilometer, das ist ganz schön lang«, murmelte Isabelle ehrfurchtsvoll.
»Euer Plan hört sich so verwegen wie vielversprechend an. Aber wisst ihr eigentlich, wie viel Willenskraft und Ausdauer für solch ein Langstreckenrennen benötigt werden?«, sagte Leon, der zwei Stühle neben Josefine saß, skeptisch und herausfordernd zugleich.
»Und dazu mehr als eine Spur Kaltblütigkeit, genügend Umsicht und eine große Portion Mut«, ergänzte Susanne Lindberg gelassen. »Hältst du uns etwa für Anfänger?«
»Du bist Leon Feininger, nicht wahr?«, sagte Charles Hansen. »Wir sind einundneunzig zusammen Leipzig – Berlin – Dresden gefahren, erinnerst du dich?«
Leon nickte freudig.
Bevor sich die Männer in ihren Erinnerungen verloren, ergriff Susanne Lindberg eilig wieder das Wort. »Ich weiß, dass all diese Fähigkeiten, die der große Radfahrer Leon Feininger gerade genannt hat, uns Frauen abgesprochen werden. Noch immer müssen wir gegen viele Vorurteile kämpfen. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, das Radfahren wird für uns schwieriger statt leichter.« Zum ersten Mal verdüsterte sich ihre Miene. Doch im nächsten Moment schien sie sich zu besinnen. »Umso wichtiger ist es, der ganzen Welt zu zeigen, wie stark wir Frauen sind!«
Erst zögerlicher, dann immer stärker werdender Beifall brandete auf, sogar einige der Männer fielen ein.
»Dieses Rennen wäre auch ein sehr wichtiges Signal in Richtung des Bundes Deutscher Radfahrer«, sagte Irene Neumann. »Wie ihr alle wisst, wird dort gerade in Erwägung gezogen, Damenrennen im ganzen Kaiserreich zu verbieten.«
»Eine Frechheit!«, rief Gertrude. »Sie wollen uns Frauen mit aller Macht unterdrücken.«
»Das wäre wirklich gemein«, murmelte auch Josefine, die in den vergangenen zwei Monaten ihre ersten Rennen gefahren war und Gefallen daran gefunden hatte.
»Wie sieht es denn mit der Presse aus? Es wäre von großer Bedeutung, dass ein paar Zeitungsredakteure das Rennen begleiten und darüber berichten. Denn wie sonst sollte die Öffentlichkeit davon erfahren?«, warf Luise Karrer, die sich bisher zurückgehalten hatte, ein.
»Zur dänischen Presse bestehen sehr gute Kontakte«, sagte Charles Hansen. »Aber es wäre natürlich gut, wenn die ausländischen Fahrerinnen ebenfalls Journalisten mitbringen. Meist reicht ein Zugpferd aus, um sie neugierig zu machen. In unserem Fall ist es Susanne.« Er warf seiner Verlobten einen Blick voller Stolz zu. »Dass eine so anmutige, zarte Dame sich an solch eine Distanz wagt, ist so manchem Schreiberling einen Artikel wert.«
»Sollte ich mich entschließen mitzufahren, wäre uns ein ganzer Tross an Presse sicher«, sagte Fadi Nandou, und alle Blicke hefteten sich auf die schöne Perserin.
Susanne Lindberg hob vielsagend die Brauen, als sie erst in Fadis mit Kohlestift umrandete Augen, dann in die Runde schaute. »Erlaubt mir eine Warnung: Prominenz allein reicht für die Teilnahme nicht aus. Wer unser Rennen mitfahren möchte, muss einiges an Rennerfahrung vorweisen können und bereit sein, sich im nächsten halben Jahr dem härtesten Training zu unterwerfen, das ihr euch vorstellen könnt. Ihr müsst so viele Stunden auf dem Rad sitzen wie noch nie zuvor in eurem Leben. Ihr müsst bei jeder Witterung fahren, ihr müsst euch ans Fahren in der Nacht gewöhnen …«
All das wäre für sie kein Problem, dachte Josefine. Ein wohliges Kribbeln, wie sie es schon lange nicht mehr gespürt hatte, machte sich in ihr breit.
Viele ihrer Vereinskameradinnen hingegen sanken während Susannes Aufzählung regelrecht in sich zusammen. So anstrengend hatten sie
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