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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Arm, der sich von der Maschine auf einen Tisch senkte und wieder hob, blieb danach mitten in der Luft stehen.
    »Ich bin mir noch nicht sicher«, schrie Adrian zurück, während er sich mit großen Augen in der Fabrik umschaute. Viele der Maschinen, so wie die Krake, hatte er noch nie zuvor gesehen, sie schienen Sonderanfertigungen speziell für die Fahrradherstellung zu sein. Der Lärm, der von den unzähligen Metallpressen und -stanzen ausging, war ohrenbetäubend. Überall wurde an langen Tischreihen auch mit Hilfe kleinerer Maschinen geschraubt, geschweißt, montiert – Adrian schätzte, dass mehrere Hundert Arbeiter hier zugange waren.
    Schoeninger, der seinem Blick gefolgt war, sagte: »Ich beschäftige derzeit rund sechshundert Arbeiter, sie arbeiten in zwei Schichten. Aber ich bin ständig auf der Suche nach neuem Personal. Letztes Jahr produzierten wir sechzigtausend Räder, dieses Jahr möchte ich meine Produktion nochmals um zehntausend Stück steigern. Dafür brauche ich gute Leute.«
    Adrian war sprachlos.
    »Die Amerikaner sind total crazy nach Fahrrädern, jeder will eines haben! Irgendwann werden die Straßen Amerikas so mit Rädern verstopft sein, dass es kein Durchkommen mehr gibt«, sagte Schoeninger mit einem Grinsen. »Wir exportieren natürlich auch in großem Stil«, führte der Firmenchef weiter aus. »Nach Frankreich, Dänemark, neuerdings auch nach Schweden. Und natürlich auch nach Deutschland. Aber keine Sorge, in Berlin habe ich noch keinen Importeur sitzen«, fügte er hinzu, als er Adrians panischen Blick sah. »Sie müssen wissen, dass wir uns pro Verkaufsgebiet lediglich einen Großhändler aussuchen, an den wir unsere Räder liefern. Dieser Großhändler vertreibt die Crescent Bikes dann einerseits direkt an den Einzelkunden, andererseits aber auch an Unterhändler. Es ist sinnvoll, sich ein gut funktionierendes Vertriebsnetz aufzubauen.«
    »An eine solche Struktur habe ich auch gedacht«, sagte Adrian und spürte, wie er sich innerlich entspannte. Das waren Dinge, von denen er etwas verstand!
    In Schoeningers Büro, das mit hellen, schlichten Holzmöbeln eingerichtet war, angekommen, kamen sie aufs Wesentliche zu sprechen: Preise, Lieferzeiten, Zahlungsziele. Die Finanzierung war gesichert, Adrian hatte vor seiner Abreise bei der Hausbank der EWB einen sehr günstigen Kredit bekommen – wahrscheinlich vor allem der Tatsache geschuldet, dass er der Sohn von Gottlieb Neumann war. Seiner Idee »Fahrräder für alle« hatte der Seniorchef der Bank jedenfalls eher skeptisch gegenübergestanden – sein Sohn, der Juniorchef, hingegen hatte einigen Enthusiasmus dafür aufbringen können.
    Die gesicherte Finanzierung, dazu die gegenseitige Sympathie, die beide Männer verspürten – schnell war die Unterschrift unter den Vertrag gesetzt, der Adrian Neumann zum lizenzierten Großhändler von Crescent Bikes für Berlin und sein Umland machte. Zweitausend Räder, das Stück zu umgerechnet je fünfzig Mark – bei der Zahl wurde Adrian doch ein wenig schwindlig. Was, wenn seine Vision sich als Luftblase herausstellte? Dann würde er auf einem gigantischen Berg Crescent Bikes sitzenbleiben und für den Rest des Lebens verschuldet sein.
    Adolph Schoeninger wischte solche Bedenken mit einer Handbewegung beiseite. »Wenn die Deutschen nur ein bisschen so crazy nach Fahrrädern sind wie die Amerikaner, müssen Sie sich keine Sorgen machen. Rechnen Sie doch nach!«, forderte er Adrian auf. »Hundert verkaufte Räder pro Monat ergeben zwölfhundert Stück schon im ersten Jahr. Den Rest verkaufen Sie an Ihre Unterhändler. Glauben Sie mir, eine geringere Bestellung würden Sie alsbald bereuen.«
    Die erste Lieferung wurde für März 1897 vereinbart. Ein früherer Termin war nicht möglich, da die Auftragsbücher der Western Wheel Works randvoll waren und sie erst die bestehenden Aufträge abarbeiten mussten. Solang die Räder rechtzeitig zur neuen Saison bei ihm eintrudelten, war Adrian alles recht.
    Die beiden Männer verabschiedeten sich wie alte Freunde. Schoeninger schenkte Adrian ein fabrikneues Rad, das Adrian mit Freuden annahm. Sein alter Klepper war nach der langen Reise so heruntergekommen, dass er höchstens noch einem Chicagoer Schrotthändler eine Freude bereiten würde.
    Adrian konnte es kaum erwarten, das neue »Bike« auszuprobieren. Von Chicago in Richtung Indiana gäbe es gut ausgebaute Straßen, versicherte Schoeninger ihm. Auf der ungefähr vierhundertfünfzig Kilometer

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