Solang die Welt noch schläft (German Edition)
hochkrempeln, den Knopf durchs Knopfloch ziehen und so eine Kurzarmjacke daraus machen. Für den Hosenrock hatte sie sich einen breiten Gürtel aus wasserfestem, aber dünnem und anschmiegsamem Leder genäht, versehen mit einer Art Geheimfach für wichtige Dokumente. So verpackt würden weder Schweiß noch ein Regenguss ihnen etwas anhaben können. Als Isabelle ihre praktische Velobekleidung sah, war sie so fasziniert, dass sie unbedingt auch so etwas haben wollte. Gutmütig hatte Jo eingewilligt, sich noch einmal ans Werk zu machen.
Doch als Isabelle nun fragte: »Sag mal … Könntest du nicht auch Leons Sachen abändern?«, hatte Jo genug.
»Ich bin doch keine Schneiderin! Außerdem ist dein Leon so ein eitler Gockel, dem ist das, was ich hier fabriziere, bestimmt nicht gut genug«, erwiderte sie barscher, als sie wollte.
Statt eingeschnappt zu sein, lachte Isabelle nur. »Mein lieber, süßer Leon hat wirklich einen ganz besonderen Geschmack. Das Beste ist ihm gerade gut genug, und er weiß ganz genau, was ihm steht und was nicht. Noch nie habe ich einen Mann mit einem solch treffsicheren und guten Geschmack kennengelernt.« Ihre Augen hatten einen verträumten Ausdruck angenommen, und sie seufzte verliebt. »Aber das muss uns nicht wundern. Immerhin stammt er von einem großen Weingut. Seine Familie hat jahrhundertealte Wurzeln, sie sind sehr den Traditionen verbunden. Leon kann man mit unseren blassgesichtigen Städtern weiß Gott nicht vergleichen, er ist eine Klasse für sich.«
Adrian war doch kein Stadt-Heini! Er hatte sehr wohl einen eigenen Stil, auch wenn dieser zurückgenommener war als der von Leon mit seinen bunten Einstecktüchern und den großen Kragen. Doch Josefine kam nicht zum Protestieren, denn Isabelle sprach ohne Unterlass weiter.
»Seine Familie lebe wie die englischen Landgrafen, nur eben in der Pfalz, sagt Leon. Ach, wenn er erzählt, könnte ich stundenlang zuhören! Allein seine Schilderungen von der Weinernte, wenn alle zusammenhelfen, um die Trauben in die großen Pressen zu bekommen. Dann die traditionellen Feste, wenn das ganze Dorf an langen Tischen zusammensitzt, isst und trinkt und feiert. Stell dir vor, sie küren eine Weinkönigin, meist ist es das hübscheste junge Mädchen im Dorf! Und die Verkostungen im großen Weinkeller, die Prämierungen, bei denen man die großen Weine des Gutes einer fachkundigen Jury präsentiert …« Ihr Seufzen wurde sehnsuchtsvoll. »Ach, das würde ich zu gern einmal mit eigenen Augen sehen.«
Jo, die sich am Tisch gegenüber von Isabelle niederließ, runzelte die Stirn. »Eine Stadtpflanze wie du auf dem Land? Dir würde der Spaß bald vergehen! Ich weiß ja auch nicht viel vom Landleben, aber damals, als ich zur Kur im Schwarzwald war, hatte ich immerhin öfter die Gelegenheit, den Bauern bei ihrer harten Arbeit zuzuschauen. Von früh bis spät auf den Feldern zu ackern, Angst haben zu müssen, dass in einem zu kalten Frühjahr die Knospen der Obstbäume erfrieren, dann im Sommer die Angst vor Gewitter und Hagel, im Herbst die Ernte, bei der alles schnell gehen muss – solch ein bäuerliches Jahr ist bestimmt kein Zuckerschlecken!«
»Erstens lebt Leons Familie in der Pfalz und nicht im Schwarzwald. Und in der Pfalz ist alles viel besser und schöner. Und zweitens glaube ich kaum, dass die Familie höchstpersönlich von früh bis spät in den Weinbergen ›ackert‹, wie du es nennst. Dafür hat man schließlich Angestellte«, erwiderte Isabelle hochmütig.
Josefine, die keinen Streit vom Zaun brechen wollte, verzichtete auf eine Erwiderung. Stattdessen ging sie zum Ofen und holte aus dem Rohr die gebackenen Kartoffeln heraus, die sie vor einer Stunde hineingeschoben hatte. Sie hatten eine goldgelbe Kruste und dufteten herrlich. Jo streute noch ein paar Kräuter darüber, die sie im Sommer in Friedas Garten geschnitten und im kleinen Gartenhaus getrocknet hatte. Nun war der Duft noch unwiderstehlicher.
»Lebst du nur noch von Luft und Liebe oder isst du mit?«, fragte sie ironisch.
Isabelle grinste. »Liebe macht hungrig, aber davon kannst du ja nichts wissen. Außerdem riecht es hier so gut, dass mir schon das Wasser im Mund zusammenläuft.«
Während Jo nun die Kartoffeln auf zwei Teller verteilte, sagte sie über ihre Schulter hinweg: »Leon hier, Leon da – manchmal habe ich das Gefühl, für dich gibt es nur noch ein Thema. Geht das nicht alles viel zu schnell? Du kennst den Mann doch noch gar nicht richtig. Sicher, er
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