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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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dar. Doch den Februar hasste sie. Sie hatte das Grau in Grau so satt! Sie hatte die kurzen Tage satt und die Kälte, die einem in die Knochen kroch, sobald man sich aufs Rad schwang. Am liebsten wäre sie im Pelzmantel gefahren, aber damit hätte sie sich wahrhaftig lächerlich gemacht.
    »Lass uns wegfahren«, sagte sie zu Leon. »Irgendwohin, wo die Sonne scheint und es schon jetzt nach Frühling duftet. Wie wäre es mit dem Süden Italiens?«
    Doch sie stieß mit ihrem Vorschlag nicht auf Gegenliebe. Er hätte sich explizit Berlin als Radfahrpflaster ausgesucht, erklärte Leon. Weil er sich hier mit Größen wie Veit Merz und anderen messen konnte. Wie Isabelle angesichts des bevorstehenden Dänemarkrennens an einen Urlaub denken konnte, war ihm schleierhaft.
    Also trainierte Isabelle schmollend und lustlos weiter. Ein paar Tage später bekam sie, nachdem sie mit dem Rad in einen Schneeschauer geraten war, einen hartnäckigen Husten, der trotz aller Mittel und Kräutertees aus der Berg’schen Apotheke nicht weichen wollte. Sie legte sich ins Bett und vertrödelte die Tage mit einem Berg von Zeitschriften, stärkenden Bouillons und Schokolade. Leon sah sie in dieser Zeit nicht, was der einzige Wermutstropfen war. Aber bisher hatte sie es nicht gewagt, ihn ihren Eltern vorzustellen, wie also hätte sie fremden Herrenbesuch an ihrem Krankenbett erklären sollen?
    Es war die Sehnsucht nach ihm, die sie eine Woche später – noch immer blass und geschwächt, dafür mit einem festen Entschluss – aus dem Bett trieb. Es war ein strahlend schöner, kalter Samstag. Sie zog eine dicke Jacke an, bestellte eine Droschke und fuhr in den Verein, wo für die Jahreszeit ungewöhnlich viel los war. Als Leon, der tief über den Lenker gebeugt auf der Bahn seine Runden drehte, sie erblickte, fuhr er an die Bande und sprang vom Rad.
    »Endlich sehe ich dich wieder, ma chérie …«
    Wie süß seine Lippen waren! Isabelle hätte ewig in seiner Umarmung verharren können. Doch sie hatte etwas Wichtiges zu erledigen.
    Hand in Hand gingen sie ins Vereinsheim, wo Isabelle vor versammelter Mannschaft verkündete: »Ich habe die Schinderei satt. Ich steige aus. Das blöde Rennen kann mir gestohlen bleiben!«
    Natürlich redeten Josefine, Luise Karrer und sogar Irene heftig auf sie ein. Und auch von den Mitgliedern, die nicht mit nach Dänemark fuhren, aber regen Anteil an den Vorbereitungen nahmen, hatten viele gute Ratschläge parat, um ihr das Training wieder schmackhaft zu machen. Doch Isabelle schüttelte nur den Kopf. Was die anderen von ihr dachten, war ihr gleichgültig. Sie hatte die Nase voll. Außerdem würde in wenigen Wochen Lilo nach Berlin kommen und als weitere Trainingspartnerin zur Verfügung stehen, niemand würde sie also sonderlich vermissen.
    Womit sie nicht gerechnet hatte, war Leons Reaktion. Er, der sonst allem im Leben mit lässiger Nonchalance begegnete, er, den sonst nichts aus der Ruhe bringen konnte, packte sie am Arm und zog sie nach draußen vor das Gebäude.
    »Wie kannst du unser großes Abenteuer so einfach in den Wind schreiben?«, schrie er sie an. »Du und ich für tausend Kilometer gemeinsam auf der Straße – ist das plötzlich nichts mehr wert? Ich dachte, du liebst mich!«
    »Meine Entscheidung hat doch nichts mit unserer Liebe zu tun«, antwortete Isabelle erschrocken. »Ich bin einfach schrecklich erschöpft. Dieser ewige Drill! Mir wird inzwischen schon schlecht, wenn ich nur ans Radfahren denke. Liebling, bitte, das musst du verstehen.«
    Leon schüttelte den Kopf. »Gar nichts verstehe ich. Und dass du das Training als Drill empfindest, erst recht nicht. Hast du nun eine Freundin, die Apothekertochter ist, oder etwa nicht? Warum besorgst du dir nicht endlich ein paar Mittel, die dir das Fahren erleichtern? So wie Veit und ich es tun. So wie alle anderen Fahrer, die Höchstleistungen bringen, es ebenfalls machen.«
    »Coca oder Cola?« Isabelle runzelte die Stirn. »Irene sagt, dieses Zeugs, das ihr Doping nennt, sei gefährlicher Schund.«
    »Irene!« Leon machte eine abfällige Handbewegung. »Was weiß die schon? Bin ich die zwölfhundert Kilometer von Paris nach Brest und wieder zurück gefahren oder sie? Wem glaubst du mehr in solchen Angelegenheiten? Deiner langweiligen Vereinskameradin oder mir, einem der erfahrensten und erfolgreichsten Langstreckenfahrer Europas?« Er führte sie zu einer der Bänke, die am Rand der Rennbahn standen. Kaum dass sie saßen, kroch die Kälte des

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