Solang die Welt noch schläft (German Edition)
ihn warteten. Als Josefine ihn auf sein Bein hatte ansprechen wollen, winkte er betont lässig ab. »Später …«
Als sie sich endlich getrennt hatten und Jo in ihrem Bett lag, waren ihr so viele Dinge durch den Kopf gegangen, dass sie nicht hatte einschlafen können.
Der Schlafmangel, die große Freude über Adrians Kommen, die unschöne Szene mit Isabelle – am nächsten Morgen fühlte sich Jo über alle Maßen aufgekratzt. Wenn das Rennen nicht bald losging, würde sie noch aus der Haut fahren!
Es war ein sonniger Tag wie aus dem Bilderbuch. Der Start war an den Stadtrand von Kopenhagen verlegt worden, direkt an die Ausfallstraße in Richtung Roskilde. Die schneeweißen Bürgerhäuser glänzten in der Sonne, ein paar Möwen, die sich in die Stadt gewagt hatten, flatterten kreischend durch die Luft, eine davon ließ ihr Geschäft ausgerechnet auf Veit Merz’ Schulter fallen, was von den anderen Fahrern mit gutmütigem Spott belacht wurde.
Natürlich hatten sich die Mitglieder von Susannes und Charles’ Radvereinen sowie Susannes Familie eingefunden. Es waren jedoch kaum Kopenhagener Bürger erschienen, dafür war das Rennen zu wenig publik gemacht worden. Charles Hansen hatte vor, das Rennen erst nach dessen Ende an die große Glocke zu hängen, nach dem Motto: Schaut her, wozu Frauen still und heimlich in der Lage sind!
Josefine interessierte sich weder für die Presse noch für sonst jemanden. Adrian war da, nichts anderes zählte für sie. Nun wollte sie nur noch eins: Losfahren! Und wenn sie in die Gesichter der Mitstreiterinnen schaute, sah sie, dass es ihnen nicht anders erging. Sie tauschte einen Blick mit Lilo, und die beiden grinsten sich an.
Überall wurden letzte Handgriffe an den Rädern verrichtet, Hüte zurechtgerückt, Jacken geschlossen, Proviant überreicht oder auf die Schnelle noch ein belegtes Brot gegessen. Die Stimmen der Frauen waren schriller als sonst, ihre Gesichter vor Aufregung gerötet, manch eine trank ein Glas Sekt, um die Nerven zu beruhigen, was von Susanne Lindberg jedoch mit einem missfälligen Blick bedacht wurde. Die Luft vibrierte, als wären Schwärme von Wespen unterwegs!
Josefine ging in die Hocke und prüfte zum hundertsten Mal, ob mit ihrem Fahrrad alles in Ordnung war. Hatten die Reifen auch keine Schnitte von Scherben oder Steinen? Waren die Bremsen gut eingestellt, die Kette gut geölt? Am Vorabend hatte Gerd Melchior zwar die Räder aller Teilnehmer kontrolliert, aber sicher war sicher!
Aus dem Augenwinkel sah sie Isabelle mit verschlossener Miene in einem eleganten Radfahrkostüm eintrudeln, Leon an ihrer Seite. Die Jacke mit den vielen Taschen, die Jo in mühevoller Kleinarbeit für sie genäht hatte, war nirgendwo zu sehen. Statt die anderen per Handschlag zu begrüßen, wie es Sitte unter den Radfahrern war, schenkte sie allen nur ein kurzes Nicken.
Sowohl sie als auch Leon hatte seit dem Tag zuvor niemand mehr gesehen, so dass nicht nur Susanne befürchtet hatte, zwei Mitfahrer weniger zu haben.
Adrian, der mit Gerd Melchior zusammenstand, reckte den Daumen seiner rechten Hand in die Höhe. Alles in Ordnung!
Jo lächelte zurück. Ja, alles in Ordnung. Wäre Isabelle nicht mitgefahren, hätte das dem Unternehmen einen bitteren Beigeschmack verliehen.
»Ich habe meine Abenteuer hinter mir, nun bist du an der Reihe!«, hatte Adrian ihr zum Abschied gesagt. »Genieße jeden Kilometer und lass dir nicht Bange machen, von nichts und niemandem, hörst du? Ich werde in Gedanken immer bei dir sein.« Er wollte in einem der Begleitwagen mitfahren und sie am einen oder anderen Kontrollpunkt treffen.
Adrian unterwegs mit einer Kutsche. Josefine spürte, wie sich ein dicker Kloß in ihrem Hals bildete. Sie hätte am liebsten losgeheult. Aber hätte das etwas geändert? Bestimmt würden die deutschen Ärzte sein Knie wieder hinbekommen! Und wenn nicht …
Um sich abzulenken, kontrollierte Jo auch noch ihr Werkzeug: Schraubendreher, ein Taschenmesser, Flickzeug und noch ein paar Kleinigkeiten – gerade so viel, dass es in die untere Rückentasche ihrer Jacke passte und nicht zu schwer war. Sollte sie eine Panne erleiden, würde sie nicht zwingend darauf hoffen müssen, dass Gerd Melchior oder einer der anderen Mechaniker in ihrer Nähe war.
Als Nächstes überprüfte Jo nochmals ihren Proviant: Sie hatte fünf belegte Brote dabei, ein paar Handvoll Trockenobst, zwei Stück eines dänischen Kuchens, der dank Mandeln und Marzipan sehr gehaltvoll war. Für
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