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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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die ersten zwei- bis dreihundert Kilometer müsste ihr Essen reichen. Ihre beiden Blechflaschen hatte sie mit Wasser gefüllt, in das sie auf Adrians Rat hin ein Stück Zucker gegeben hatte. Im Laufe der Zeit würde sich der Zucker auflösen und ihr mit jedem Schluck neue Kräfte verleihen.
    Jo dehnte ihre Beine. Sie fühlten sich gut an. Kraftvoll, geschmeidig, keine Anzeichen von Krämpfen, wie sie sie ein paarmal während der Trainingsmonate gespürt hatte.
    Ihr Rad, ihre Ausrüstung, ihre körperliche Verfassung – alles war in bester Ordnung. Und doch …
    Wieder einmal rannte sie zur Toilette, die jedoch von einem der anderen dreißig Teilnehmer besetzt war. Alles würde gut werden, beschwor Jo sich selbst, während sie von einem Bein aufs andere trat.
    Das hatte Adrian gesagt. Und das fühlte sie auch, wenn sie tief in sich hineinspürte. Trotz ihrer Aufregung, die immer schlimmer wurde.
    »Liebe Radlerinnen, liebe Radler, heute ist ein denkwürdiger Tag. Denn mit diesem Rennen wollen wir beweisen, dass Frauen ebenso leistungsfähig sind wie Männer, wenn nicht sogar leistungsfähiger. Das starke Geschlecht, so soll man die Damenwelt fortan nennen. Susanne und ihre Mitfahrerinnen werden all diejenigen Lügen strafen, die gebetsmühlenartig die Schwächen der Frau aufzählen, ohne je auch nur den geringsten Beweis für ihre Behauptungen erbracht zu haben.«
    Charles Hansens Wangen waren gerötet, seine Augen blitzten erwartungsvoll, als er in die Runde schaute.
    »Ein Langstreckenrennen wie das unsere verdient eigentlich einen anderen Namen. Denn im Gegensatz zu anderen Radsportwettbewerben steht bei uns nicht der Konkurrenzgedanke im Vordergrund. Wir feilschen nicht um wenige Minuten, die eine schneller ist als die andere. Wir rennen nicht. Was uns vielmehr verbindet, ist der Wille, gemeinsam mit Freude am Fahren das Ziel zu erreichen. Deshalb sage ich eindringlich zu euch allen: Wann immer ihr eine Fahrerin oder einen Fahrer in Not am Straßenrand seht, haltet an und fragt, was los ist. Teilt euren Proviant! Lasst ihn oder sie einen Schluck aus eurer Wasserflasche nehmen! Und wenn euer Mitfahrer eine Panne hat, dann schaut, ob ihr ihm behilflich sein könnt. Nun ist die Zeit gekommen für Gemeinsinn. Streitereien, Eifersüchteleien und kindischer Zwist haben auf den nächsten tausend Kilometern keinen Raum.« Bedeutungsvoll schaute er zuerst Isabelle, dann Josefine an.
    Jo nickte. An ihr sollte es nicht liegen.
    Charles Hansen trat zu Susanne, flüsterte ihr etwas ins Ohr und gab ihr einen raschen Kuss. Dann wandte er sich ein letztes Mal an die anderen Fahrer.
    »Ich wünsche euch allen eine gute Fahrt durch unser schönes Seeland . Bon voyage oder wie wir auf Dänisch sagen: God rejse! «
    Die erste Stunde fuhren Susanne und ihre dreißig Begleiter gemeinsam. Es herrschte eine fröhliche Stimmung, gerade so als wäre man zu einem Ausflug ans nahe Meeresufer aufgebrochen. Es wurde gelacht und gescherzt, einige erzählten von anderen Radtouren, man tauschte Erfahrungen aus. Susanne erzählte von ihren Heiratsplänen – spätestens im nächsten Jahr wollten Charles und sie ein großes Fest feiern. »Und danach möchte ich mindestens ein Dutzend Kinder«, gestand sie lachend.
    »Falls du nach dieser Tour noch welche bekommen kannst – Radfahren macht Damen unfruchtbar, weißt du das etwa nicht?«, scherzte Luise Karrer und hatte damit die Lacher auf ihrer Seite. Doch es klang auch ein wenig Bitterkeit in diesem Lachen mit.
    Zu Josefines Erleichterung verhielten sich ihr gegenüber alle neutral bis freundlich. Isabelles Gerede von Gefängnis und Diebstahl hatte zwar einige verunsichert, doch allzu viel gab niemand darauf – dass Isabelle in höchster Aufregung gewesen war, hatte man ja gesehen. Deshalb nahm auch niemand ihre Anschuldigung ernst, Jo hätte ihr den ehemaligen Verlobten »ausgespannt«. Ehemalig und ausgespannt – das passte nun einmal nicht zusammen. Und so drehten sich die Gespräche von Fahrrad zu Fahrrad vor allem um die bevorstehende Fahrt, die Ausrüstung und das ganze Drumherum.
    Als der riesige Dom von Roskilde in Sichtweite kam, erhöhte Susanne das Tempo unvermittelt – die Schonzeit war zu Ende. Zusammen mit ihr setzte sich eine zehnköpfige Gruppe ab, die aus dänischen und französischen Fahrerinnen bestand. Auch Isabelle, Veit Merz und Leon Feininger hielten den Anschluss.
    Josefine überlegte kurz, ob sie ebenfalls das Tempo erhöhen sollte, entschied sich dann jedoch

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