Solang die Welt noch schläft (German Edition)
bloß ein, zwei Brote mehr eingepackt!
»Ihr findet uns vor der St.-Nicolai-Kirche«, hatte Charles Hansen ihnen erklärt. »Deren Turm ist so hoch, dass er als Leuchtturm benutzt wird. Er wird heute die ganze Nacht über Signale aussenden, ihr könnt uns also nicht verfehlen.«
Und so war es: Als der gespenstisch flackernde Kirchturm in Sicht kam, verspürte Josefine Erleichterung, gepaart mit einem großen Glücksgefühl. Dieses wurde noch heftiger, als sie Adrian neben der Verpflegungsstation stehen sah.
»Und? Wie ist es dir bisher ergangen? Wie fühlst du dich? Mehr als ein Viertel der Strecke hast du schon hinter dir, ist das nicht fantastisch?« Ohne ihre Antworten abzuwarten, führte er aufgeregt aus, welche Fahrer wann in Koge angekommen waren. Natürlich waren Susanne Lindberg und ihr Team die Ersten gewesen, gefolgt von Isabelle und Leon. Dieser gab gerade einem der mitreisenden Journalisten ein Interview. Alle anderen Fahrer gönnten sich derzeit ein paar Stunden Schlaf.
Josefine lauschte erschöpft, ihre Beine zitterten so sehr, dass sie sich kaum aufrecht halten konnte. Aber Adrians begeisterte Schilderung seiner Sicht des Rennens verlieh ihr zumindest kurzfristig nochmals neue Kräfte. Seine Wangen waren vor Aufregung gerötet, in seinem Blick lag so unendlich viel an Gefühlen: Hochachtung für die Rennfahrer, Begeisterung für den Sport, das gute Gefühl, Kameradschaft auch vom Straßenrand aus miterleben zu dürfen, und natürlich eine Spur Wehmut.
»Wir haben schon dreimal die Pferde gewechselt. Ihr hingegen sitzt immer noch auf euren Rädern, ist das nicht eine unglaubliche Leistung? Und du liegst gut in der Zeit, Jo! Wenn du so weitermachst und nichts dazwischenkommt, wirst du zu den Ersten gehören, die das Rennen beenden«, berichtete er stolz.
»Das wird sich jedoch ändern, wenn ich nicht bald etwas zu essen bekomme. Dann falle ich nämlich wie ein zu sehr geschundener Gaul auf der Stelle tot um«, erwiderte sie lachend und stellte sich auf wackligen Beinen in der kleinen Schlange an, die sich am Verpflegungstisch gebildet hatte. Die Suppe roch herrlich nach Rindfleisch und Wurzelgemüse, Josefines Magen knurrte laut, sie ließ sich ihre Suppenschüssel bis zum Rand füllen. Außerdem schnappte sie sich ein paar belegte Brote, und zwei süße Gebäckstücke legte sie noch obendrauf. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie auch ein halbes Schwein verzehrt!
Adrian hatte im Schutz der Kirchenmauer eine Decke auf dem Boden ausgebreitet. Eine Fackel steckte neben der Decke in der Erde und spendete warmes Licht, die dicken Kirchenmauersteine gaben die gespeicherte Sonnenwärme des Tages ab. Seufzend ließ sich Jo auf dem gemütlichen Lager nieder, während Irene und Lilo mit ihrem Essen in die ein Stück entfernte Scheune gingen, die Charles als Pausen- und Schlaflager für die Fahrer angemietet hatte.
Noch nie hatte eine Suppe so gut geschmeckt! Noch nie waren belegte Brote so köstlich gewesen. Jo verzehrte alles bis zum letzten Happen. Satt und zufrieden lehnte sie sich dann an Adrians Schulter und wurde mit einem Schlag so müde, dass ihr vor dem Gedanken, wieder aufs Rad steigen zu müssen, graute.
»Schlaf ein bisschen«, sagte Adrian und breitete zärtlich seine Arme aus. »Ich wecke dich in vier Stunden, versprochen.«
Sie küssten sich lange und innig zum Abschied. Dann fuhr Jo in Richtung Kopenhagen weiter.
Es machte ihr nichts aus, allein zu fahren. Der Geschmack von Adrians Lippen begleitete sie.
Kopenhagen. Der Startpunkt war nicht etwa das Ende des Rennens, nein, er war nicht einmal Halbzeit! Von Kopenhagen aus mussten die Fahrer zuerst eine nördlich gelegene Schleife von rund hundertfünfzig Kilometern fahren, an deren Ende sie abermals in Kopenhagen landeten. Erst dann würden sie die Hälfte der Strecke hinter sich und eine weitere Rundfahrt durch Seeland vor sich haben.
Halbzeit … Wenn es nur schon so weit wäre, dachte Jo, als sie steifbeinig vor sich hin radelte.
Während sich Lilo noch eine weitere Stunde Schlaf gönnen wollte, war Irene schon eine halbe Stunde vor Jo aufgebrochen. Als Adrian sie gefragt hatte, ob sie nicht auf Jo warten wollte, hatte sie erwidert: »Wenn ich nicht auf der Stelle losfahre, schlafe ich wieder ein und wache nie mehr auf.« Adrian hatte verständnisvoll genickt, und auch Jo verstand Irenes Entscheidung. Bei einem solchen Langstreckenrennen musste jeder seinem eigenen inneren Rhythmus folgen. Wenn sich dieser mit dem eines
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