Solang die Welt noch schläft (German Edition)
an ihren Besuch in der von Isabelle empfohlenen Buchhandlung. Dort hatte es tatsächlich ein Buch über den Radfahrsport gegeben. Fast zweihundert Seiten dick, mit vielen Bildern und spannenden Kapiteln – was hätte sie darum gegeben, es mitnehmen zu können! Ein Akademischer Verlag aus München hatte es druckfrisch herausgebracht, erklärte der Buchhändler ihr stolz und fragte sie, ob sie das Buch für ihren Herrn Papa erwerben wolle. Der Einfachheit halber hatte Jo genickt und nach dem Preis gefragt. Danach war sie wie ein geprügelter Hund aus dem Laden geschlichen. Dass Bücher so teuer waren, hätte sie nicht gedacht. Sie würde noch lange ihr Trinkgeld sparen müssen, bis sie es erwerben konnte …
»Grenzenlose Freiheit, dass ich nicht lache! Sobald die Sonne aufgeht und die Stadt aus ihrem Schlaf erwacht, ist es damit doch wieder vorbei«, antwortete die Freundin und riss Josefine damit aus ihren Gedanken. Clara drückte ihr das Cremetöpfchen und einen aufgerollten Verband in die Hand.
»Ich mache mir wirklich Sorgen um dich. Wenn ich die dunklen Ringe unter deinen Augen sehe, graust es mir. Aber das ist ja kein Wunder, bei dem wenigen Schlaf, den du in den letzten Wochen bekommen hast. Und das bei deiner harten Arbeit in der Schmiede! Irgendwann wirst du dich vor lauter Übermüdung nicht mehr richtig konzentrieren können und bei der Arbeit oder beim Velofahren einen schweren Unfall haben. Und dann? Ich bin froh, dass es mit dem Velofahren für euch jetzt auch aus ist.«
»Ich fühle mich so gut wie nie zuvor in meinem Leben«, erwiderte Jo trotzig. »Und was die Schmiede angeht: Es kann gut sein, dass ich gar nicht mehr lange dort arbeite. Ich habe nämlich auch Pläne …«
Clara runzelte die Stirn. »Was sind denn das für neue Töne?«
Josefine nickte in Richtung des dicken Bücherstapels. »Du bist nicht die Einzige, die etwas lernen möchte.«
11. Kapitel
Am nächsten Abend ging Josefine nach der Arbeit in die Waschküche, um sich frisch zu machen. In der Küche schnappte sie sich einen Apfel, und bevor ihre Mutter ihr irgendwelche Haushaltspflichten aufbrummen konnte, zog sie von dannen.
»Josefine! Was für eine nette Überraschung! Suchst du wieder eine Reisebegleitung nach Stuttgart? Ich für meinen Teil würde das heiße Berlin lieber heute als morgen verlassen. Auf dem Land ist der Sommer sicher wesentlich erträglicher.«
Jo lächelte Oskar Reutter an. Dann half sie ihm, die Körbe mit Kleinartikeln, die tagtäglich in Reih und Glied auf dem Trottoir aufgebaut waren, ins Innere des Kaufhauses zu schleppen.
»Eine Reise könnte ich mir jetzt auch gut vorstellen, ich denke noch oft an meine Zeit im Schwarzwald zurück, sie ist wie ein schöner Traum«, sagte sie, als sie den letzten Korb hineintransportiert hatten. »Ich komme allerdings wegen etwas anderem …« Suchend schaute sie sich in Reutters Kaufhaus um – sie war nur sehr selten hier –, dann wies sie in Richtung eines der hinteren Regale, wo diverse Kleingeräte wie Fotoapparate, Wecker und Haushaltshelfer standen.
»Wer repariert eigentlich all diese Sachen?«, fragte sie.
»Warum? Habt ihr eine Reparatur zu vermelden? Ich kann mich nicht daran erinnern, dass deine Eltern je bei mir Kunden waren.«
Jo lachte. »So fortschrittlich sind die zwei wirklich nicht. Nein, es ist vielmehr so … Ich selbst interessiere mich für technische Sachen.«
»Für technische Sachen.« Oskar Reutter runzelte die Stirn. Falls er ihre Frage kurios fand, sagte er jedoch nichts. »Nun ja, wenn an einer Standuhr oder einem Wecker etwas kaputtgeht, geht man zum Uhrmacher. Bei den hochkomplizierten Chronometern sieht das schon anders aus, meist ist man da mit einem Mechaniker besser beraten.« Der Kaufhausbesitzer trat an ein Regal und nahm ein schwarzes, kofferartiges Gerät heraus. »Um einen Transformator wie diesen zu reparieren, benötigt man wiederum einen Elektriker. Und was die optischen Geräte angeht, da ist man oft mit einem Feinmechaniker am besten bedient. Aber das heißt noch lange nicht, dass ein Handwerker, der besagte Reparaturen durchführt, sich auch für deren Wartung zuständig fühlt. Dass es besser ist, sensible Geräte zu pflegen, damit es erst gar nicht zu technischen Problemen kommt, ist bisher weder von unseren Kunden noch von den Handwerkern verstanden worden.«
Josefine schluckte. »Mechaniker, Elektriker, Feinmechaniker, Reparaturen und Wartung, das hört sich alles so kompliziert an! Ich dachte
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