Solang die Welt noch schläft (German Edition)
wie die Produkte aus seiner Fabrik, hätte sie nicht für möglich gehalten. »Heute ist ein ganz besonderer Abend!« – Überlaut klangen seine Worte wieder in ihrem Ohr. Nur mit Mühe kämpfte sie die Tränen nieder, die hinter ihren Lidern lauerten. Dann trank sie benommen einen Schluck des lauwarmen Kaffees, er schmeckte wie eine verfaulte Zitrone.
»Jetzt schau nicht so drein, als hätte ich dir etwas angetan«, sagte Adrian, der nun ebenfalls das Du benutzte. »Mir geht das auch gewaltig gegen den Strich. Aber mein Vater benötigt das Geld nun einmal dringend, sonst hätte er mich nie um … so etwas gebeten. Ich weiß mir wirklich nicht zu helfen.«
»Bist du verrückt? Von allen guten Geistern verlassen?« Mit weit aufgerissenen Augen starrte Isabelle ihn an. »Ich soll dich heiraten, bloß damit dein Vater an Geld kommt? Ich will nicht heiraten! Nicht dich und sonst auch niemanden. Und das weiß mein Vater auch. Trotzdem hat er mich verraten und verkauft!« Kleine Spuckefetzen landeten vor ihr auf dem Tisch, sie wischte sie undamenhaft mit dem Ärmel ihres weinroten Seidenkleids weg.
»Heiraten steht auf meiner Liste auch ganz weit unten«, murmelte Adrian vor sich hin. »Wo ich doch so viele andere Pläne habe. Und dazu einen ganz besonderen Traum …« Auf seinem Gesicht zeigte sich ein versunkener Ausdruck, und einen Moment lang überlegte Isabelle, ob sie fragen sollte, wovon Adrian träumte. Doch dann besann sie sich. Was Adrian dachte oder tat, konnte ihr gleichgültig sein. Ihr stand der Sinn nach Freiheit und Abenteuern, und stattdessen saß sie in der Falle wie ein Goldfisch in einem Wasserglas.
Dumpfes Schweigen machte sich zwischen ihnen breit, während jeder für sich in düsteren Zukunftsvisionen versank.
Ob ihre Mutter wohl von Vaters Plan wusste? Ob sie ihn guthieß? Noch immer saß Isabelle der Schrecken über das, was ihr Vater hinter ihrem Rücken bestimmt hatte, in den Gliedern. Gleichzeitig wuchs eine unbändige Wut in ihr heran. Wenn ihr Vater glaubte, sie wie eine Haremsdame verkaufen zu können, hatte er sich gründlich getäuscht! Sie würde sich zu wehren wissen. Nur wie?
»Und was wäre, wenn wir …« Sie spitzte nachdenklich die Lippen. Wie sie es hasste, wenn die Gedanken wie wilde Pferde durch ihren Kopf galoppierten und sie kaum einen am Zaumzeug zu fassen bekam!
Adrian, der sich in der Zwischenzeit ein Glas Schnaps hatte bringen lassen, trank dieses in einem Zug leer. Es schepperte, als er es auf den Tisch zurückstellte. »Ja?«
»Was wäre, wenn wir unsere Väter mit ihren eigenen Waffen schlagen?« Isabelles Brust hob und senkte sich, als wäre sie zu schnell mit dem Velo unterwegs gewesen. Vor lauter Aufregung konnte sie kaum noch atmen. Gerade noch war sie verzweifelt und am Boden gewesen, doch nun wuchs immer stärker das Bewusstsein in ihr heran, einen Ausweg gefunden zu haben. Sie ergriff Adrians rechte Hand, die kalt war vom Schnapsglas, und sagte: »Wir könnten so tun, als wären wir mit den Plänen unserer Väter einverstanden. Zugegeben, dazu müssten wir ein paarmal miteinander ausgehen, aber in Berlin läuft man sich ja schon gezwungenermaßen ständig über den Weg.« Sie machte eine abfällige Handbewegung. »Und wir müssten so tun, als wären wir uns nicht unsympathisch. Mehr erwarten sie von uns sowieso nicht. Wahrscheinlich müssten wir zu gegebener Zeit auch unsere … Verlobung planen« – sie verzog bei dem Wort den Mund, als habe sie Zahnweh – ,»damit alles recht authentisch wirkt und mein Vater bereit ist, deinem Vater finanziell aus der Patsche zu helfen. Aber wenn wir es geschickt anstellen, muss es nicht zu einer Hochzeit kommen, verstehst du? Wir können sie hinhalten und in der Zwischenzeit unbehelligt ein gutes Leben führen, ein jeder nach seiner Fasson.«
Adrian nickte mit konzentrierter Miene. »Du meinst, wir halten unsere Väter hin, und kurz vor dem ›großen Ereignis‹ wirst du plötzlich wankelmütig oder ich bekomme die Masern. Oder es kommt etwas anderes dazwischen. Ob das klappen kann?« Skepsis und der Wunsch, Isabelles Worten zu folgen, lieferten sich in seinem Gesicht einen offenen Kampf.
Isabelle lächelte. »Wenn es sein muss, bekomme ich einen Schritt vor dem Traualtar einen Nervenzusammenbruch!«
Nun verzogen sich auch Adrians volle Lippen zu einem Grinsen. »Nach deinem Auftritt von gerade eben würde ich dir das glatt zutrauen. Wenn ich darüber nachdenke … Einen Versuch wäre die Sache wert!
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