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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Leopold, Ueber die Netzhauterholung und Ueber die Ursachen der Pigmentwanderung in der Netzhaut, Einige Bemerkungen über das Photographiren des Augenhintergrundes – die Bibliothek des Krankenhauses schien sich auf Werke der Augenheilkunde spezialisiert zu haben. Aber halt – was war das? Lehrbuch der Anatomie des Menschen. Interessiert hatte Clara die über sechshundert Seiten durchgeblättert, von denen viele mit farbigen Holzschnitten versehen waren. Das Buch war schwer und unhandlich, aber die Abbildungen des menschlichen Herzens, der Leber und Lunge so ungemein aufschlussreich …
    Sie wusste heute noch nicht, wie es geschehen war. Von einem Moment auf den anderen war ihr eingegipstes Bein weggeknickt. Sie war hintenübergefallen, das Buch fiel mit einem Knall zu Boden. Vor ihren Augen wurde es schwarz.
    Als sie wieder zu sich kam, wusste sie im ersten Augenblick nicht, wo sie war. Ihr Bein … Die Bibliothek. Sie war schon wieder gestürzt, diesmal ohne Velo. Hoffentlich würde sie in ihr Zimmer zurücklaufen können, das verletzte Bein fühlte sich gar nicht gut an. Ungelenk versuchte sie sich aufzurappeln, als in der Tür ein Mann erschien.
    »Du lieber Himmel, was ist denn hier passiert?«
    Peinlich berührt schaute Clara in ein schmales Gesicht mit vollen Lippen und braunen Augen, deren Iris am Rand silbern schimmerte. Der Mann trug ein weißes Hemd und darüber einen weißen Kittel, an dem ein Emblem prangte, das ihn als Assistenzarzt auswies. Clara schätzte ihn auf Mitte zwanzig.
    Während er ihren Puls fühlte, suchte sie hektisch nach einer Erklärung. Seine Hand war warm und weich und tröstlich. Prüfend fuhr er dann mit seiner Rechten über ihr Gipsbein. Clara verspürte trotz des Gipses ein leises Kribbeln.
    »Es scheint alles in Ordnung zu sein. Nun reden Sie schon, junge Dame, wie um alles in der Welt kommen Sie hierher?«, fragte er, nachdem er ihr aufgeholfen hatte.
    »Ich … Mir war ein wenig langweilig, und da dachte ich … Der Arzt, der mich behandelt, hatte mir doch leichte Bewegung verordnet.«
    Dieser Arzt hingegen blickte sie entgeistert an. »Dabei hat mein Kollege sicher an leichte Übungen sitzend im Bett gedacht, aber gewiss nicht daran, dass Sie allein durch die Krankenhausflure wandern! Immerhin ist Ihr Bein eingegipst. Davon abgesehen tut ein Zuviel an Bewegung einem zarten Damenkörper nie gut.«
    Betreten schlug sie die Augen nieder. »Es tut mir leid.« Da hatte sie sich ja gründlich blamiert …
    Der Mann schaute ihr ernst in die Augen und sagte: »Das sollte es auch. Der Gedanke, dass eine junge hübsche Dame wie Sie wegen einer solchen Unachtsamkeit ein Leben lang hinken muss, ist mir unerträglich.« Mit einem einnehmenden Lächeln reichte er ihr seine Hand. »Eigentlich wollte ich die Ruhe der Bibliothek nutzen, um mich bezüglich eines interessanten Falls kundig zu machen, aber das hat auch morgen noch Zeit. Schließlich kann ich nicht zulassen, dass Sie sich langweilen. Also werde ich Sie zurück in Ihr Zimmer begleiten, Ihnen eine kühle Limonade besorgen und, wenn Sie es erlauben, Ihnen noch ein bisschen Gesellschaft leisten.« Mit einem Lächeln, das Claras Herz zum Schmelzen brachte, fügte er hinzu: »Mein Name ist übrigens Gerhard Gropius.«
    »Clara Berg«, hauchte sie entzückt. Was für ein schöner und charmanter Mann! Ob das schon als eine Art Rendezvous galt? Isabelle und Josefine würden Augen machen, wenn sie ihnen davon erzählte.
    Sie waren im Begriff, die Bibliothek zu verlassen, als ihr das Buch einfiel, das ihr aus der Hand gefallen war. Sie wies in Richtung des Fußbodens und sagte: »Wären Sie so freundlich, das Buch aufzuheben? Ich habe es vorhin ungeschickterweise fallen lassen.«
    » Lehrbuch der Anatomie des Menschen ?« Gerhard Gropius schaute sie wie vom Donner gerührt an.
    »Sehr spannend, nicht wahr? Was meinen Sie, ob ich es mir für ein, zwei Tage ausleihen dürfte?« Lächelnd wollte sie das Buch entgegennehmen.
    Doch der Arzt riss es abrupt zurück. Mit gerunzelter Stirn und einem zornigen Funkeln in den Augen sagte er: »Fräulein Clara, ich muss doch wirklich bitten! Das ist weiß Gott keine Lektüre für eine junge Dame. Allein die Abbildungen! Für einen Arzt sehr wichtig, aber für eine junge Frau … Am Ende erleiden Sie noch einen Schock!«
    Schweigend war sie kurz darauf am Arm des Arztes den langen Gang entlanggelaufen. Er hatte sie in ihrem Zimmer abgeliefert und sich dann mit einer fadenscheinigen Entschuldigung

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