Solang die Welt noch schläft (German Edition)
Berlin besucht, daher ist die Stadt fast schon fremdes Terrain für ihn geworden. Seine alten Freundschaften muss er erst wieder auffrischen und weitere neue Kontakte knüpfen. Würde Ihr Fräulein Tochter Adrian die Ehre erweisen, ihn durch den heutigen Abend zu begleiten, wäre dies ein netter Anfang«, sagte Gottlieb Neumann mit eingefrorenem Lächeln auf den Lippen. »Vielleicht eine heiße Schokolade zu Beginn des Abends?« Missfällig warf er erst einen Blick auf Isabelles Champagnerglas, dann nickte er in Richtung des Tortencafés.
»Die Ehre wird ganz auf der Seite meiner Tochter sein, nicht wahr, Isabelle?«
Es dauerte einen Moment, bis Isabelle klar wurde, dass die Herren über sie sprachen.
»Nun zier dich nicht, mein Kind. Mach dir mit Adrian Neumann einen schönen Abend.«
»Wollen Sie nun heiße Schokolade oder Kaffee?«, fragte Adrian mürrisch, kaum dass sie im Tortencafé saßen. Noch standen die Bedienungen mit den weißen Rüschenhäubchen gelangweilt hinter der Theke, der große Ansturm wurde erst sehr viel später am Abend erwartet – so früh waren sie die Einzigen, die an einem der kleinen, mit Kerzen geschmückten Tischchen saßen.
»Kaffee«, antwortete Isabelle lustlos, während vom Gang eine Woge Bratenduft zu ihnen hereinwehte. Ihr Magen knurrte leise. Bestimmt wurde im großen Saal schon die Suppe aufgetragen. Ob es wohl eine Möglichkeit gab, bald wieder an ihren Tisch zurückzukommen?
Nachdem Adrian Neumann seine Bestellung bei einem der Serviermädchen aufgegeben hatte, beugte er sich über den Tisch. Seine blauen Augen schossen kleine wütende Pfeile auf sie ab, als er sagte: »Glauben Sie nicht, dass das hier meine Idee ist! Bloß weil Ihr Vater mit Geld um sich wirft und mein Vater zufälligerweise welches benötigt, brauchen Sie sich nicht einzubilden, dass ich auch nur das geringste Interesse an Ihnen habe. Ich handle aus Loyalität meiner Familie gegenüber, aus keinem weiteren Grund. Aber wenn ich daran denke, was sie von mir erwarten …« Er winkte angewidert ab. »Ganz schlecht wird mir dabei. Wäre ich bloß in München geblieben!«
Isabelle fuhr wie vom Blitz getroffen zusammen. Was redete der Kerl für wirres Zeug? Das war ja … das war in höchstem Maße impertinent!
»Warum schlagen Sie mir gegenüber solch einen unverschämten Ton an? Als ob ich den geringsten Wert darauf lege, hier mit Ihnen zu sitzen und Kaffee zu trinken! Ihr Vater wollte doch, dass ich für Sie das Kindermädchen spiele, nicht ich. Tausendmal lieber würde ich jetzt an einem Gänsebein nagen.« Fahrig strich sie sich eine rote Locke aus dem Gesicht, die sich aus ihrer aufwendigen Hochfrisur gelöst hatte. Dann schnappte sie ihre perlenbestickte Abendhandtasche und stand auf. Wenn ihr Vater erfuhr, welch freche Reden dieser ungehobelte Bursche gehalten hatte, würde er verstehen, warum sie keine Minute länger mit ihm hatte verbringen können. Und wenn nicht – was kümmerte es sie?
Von oben herab schaute sie Adrian an, der nach ihrem Wutausbruch nicht mehr ganz so grimmig, sondern eher verunsichert dreinschaute.
»Eins müssen Sie mir allerdings noch erklären – was sollte die Bemerkung über meines Vaters Geld?«
»Wollen Sie sich über mich lustig machen?«, fragte Adrian Neumann mit gerunzelter Stirn.
»Keinesfalls«, erwiderte Isabelle spitz. Wie er dasaß mit seiner Unschuldsmiene – das machte sie noch wütender! »Also, was ist jetzt?«, herrschte sie ihn an.
»Aber, ich dachte …«
»Was?«, antwortete Isabelle enerviert. Wenn sie sich beeilte, würde sie vielleicht noch rechtzeitig zum Hauptgang kommen.
»Ich dachte, Sie wüssten Bescheid.«
Isabelle verdrehte die Augen. »Also wirklich, zum Rätselraten habe ich nun gar keine Lust.«
Adrian lehnte sich in seinem Sessel zurück. Mit einer äußerst nonchalanten Geste sagte er: »Unsere Väter haben unsere Heirat beschlossen, ganz einfach. So, wie man einen Handel abschließt. Wenn wir zwei in den nächsten zwei Jahren vor den Traualtar treten, hilft Ihr Vater meinem aus seiner finanziellen Bredouille.« Er hörte sich an, als plaudere er übers Wetter.
Wie ein Blasebalg, aus dem die Luft entwichen war, sackte Isabelle zusammen. Sie landete gerade noch auf der Kante des Plüschsessels. »Sag das noch einmal …« Dass sie vor lauter Entsetzen zum Du übergegangen war, fiel ihr nicht auf.
Regungslos hörte Isabelle Adrian Neumann zu. Alles hätte sie ihrem Vater zugetraut, aber dass er sie verkaufen würde
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