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Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)

Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition)

Titel: Solang es Träume gibt: Das Leben einer ostpreußischen Gräfin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Schulze-Lackner
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Halle. Sie war ganz in Schwarz gekleidet, die Augen waren vom Weinen rot und verquollen.
    »Was ist passiert?«, fragte Leopold nach einer kurzen Begrüßung. »Ist Ihre Frau Mutter verstorben?«
    »Nein …«
    »Ich laufe schnell zu Rüdiger«, rief Natascha. Sie interessierte sich nicht für Familiengeschichten ihrer Angestellten. Aber nach ein paar Schritten blieb sie wie angewurzelt stehen. Langsam drehte sie sich um. Ihre Augen waren vor Schreck weit aufgerissen, und ihre Stimme war nur ein Krächzen. »Wer ist es denn dann …?«
    Fräulein von Pulkendorf schlug die Hände vors Gesicht. »Es tut mir ja so leid«, schluchzte sie, »so unendlich leid. Rüdiger ist tot.«
    Leopold fing seine Frau im letzten Moment auf. Sie hatte das Bewusstsein verloren.
    Leopold stand am Fenster des kleinen Salons und starrte in den Park. Er sah nicht die blühende Pracht der ersten Frühlingsblumen und das zarte Grün der Büsche und Bäume. Für ihn war die Welt stehen geblieben. Nur einen Moment lang hatte er ein Gefühl der Erleichterung verspürt, als er hörte, dass Feodora lebte. Fast schämte er sich dafür. »Was ist passiert?«, fragte er tonlos, ohne sich umzudrehen, die Gouvernante, die zusammengesunken in einem Sessel kauerte.
    »Im ganzen Landkreis herrscht eine Scharlachepidemie. Unzählige Kinder sind daran gestorben.« Sie schluchzte leise. »Wie durch ein Wunder hat Feodora überlebt.«
    »Wo ist sie, wie geht es ihr?« Seine Stimme klang jetzt etwas lebendiger. »Kann ich sie sehen?«
    »Doktor Grüben hat ihr noch zwei Tage Bettruhe verordnet, er will sichergehen, dass sie ganz gesund ist und niemanden mehr ansteckt.«
    »Sie ist doch wohl nicht allein! Wer kümmert sich denn um sie?«
    »Nein, nein, um Gottes willen«, rief Fräulein von Pulkendorf aufgeregt. »Else ist … war … Tag und Nacht bei den Kindern.« Sie schluchzte auf. »Sie ist jetzt bei Feodora. Else ist immun gegen diese Krankheit, sie hat selbst in ihrer Kindheit Scharlach gehabt, sagt der Arzt.« Sie konnte nicht aufhören zu weinen. »Else hat sich rührend um beide gekümmert, aufgeopfert hat sie sich.«
    In dem Moment stürmte Konrad Grüben herein. »Leopold, mein armer Freund, es tut mir so unendlich leid.« Die Männer umarmten sich schweigend. »Ich höre, ihr seid gerade angekommen.«
    Leopold nickte.
    »Wir wussten nicht, wo und wie wir euch erreichen können«, fuhr Grüben fort. Er blickte sich suchend um. »Wo ist Natascha. Wie hat sie es aufgenommen?«
    »Bei der Todesnachricht hat sie das Bewusstsein verloren. Sie ist in ihrem Boudoir.«
    »Eine schreckliche Krankheit ist das. Wir Ärzte sind machtlos, es gibt immer noch kein Medikament dagegen.« Grüben schlug sich verzweifelt die Hände vor die Brust. »Glaub mir, ich leide mit euch und den armen anderen Eltern. Manche haben bis zu drei Kinder verloren. Ich bin so froh, dass wenigstens Feodora es überstanden …«
    »So, bist du das? Ich bin es nicht!« Unbemerkt hatte Natascha den Raum betreten. In ihrem kalkweißen Gesicht glühten die Augen wie schwarze Kohlen. Wie von Sinnen schlug sie jetzt mit beiden Fäusten auf den Arzt ein. Ihre Stimme überschlug sich. »Gib mir meinen Sohn wieder. Ich will ihn wiederhaben, sofort.«
    »Maman.« Eine kleine, zarte Gestalt, barfuss und nur mit einem Nachthemd bekleidet, stand zitternd in der Tür, hinter ihr war Else mit vor Entsetzen geweiteten Augen. »Maman, hast du mich denn gar nicht lieb?«
    Für einen Moment waren alle wie gelähmt. Dann stürzte Natascha, ohne das Kind zu beachten, auf Else zu, die erschrocken zurückwich. »Geh mir aus den Augen«, schrie sie. »Hättest du besser aufgepasst, würde mein Sohn noch leben. Ich will dich nie mehr sehen!«
    »Mäßige dich, Natascha!« Die Stimme des Arztes war schneidend. »Niemand hat Schuld an Rüdigers Tod, am allerwenigsten Else. Sie hat den größten Anteil daran, dass deine Tochter noch lebt.«
    Wortlos verließ Natascha den Salon. Sie ließ eine entsetzte Gesellschaft zurück, die nicht wusste, wie sie den hemmungslos weinenden Vater und seine sich verzweifelt an ihn klammernde Tochter trösten sollte.
    Es wurden acht Tage Trauergeläut und eine vierwöchige Landestrauer angeordnet. An einem strahlenden Frühlingstag wurde unter Anteilnahme der ganzen Grafschaft Rüdiger auf dem Troyenfeld’schen Friedhof zu Grabe getragen. Der Pastor hatte eine ergreifende Rede gehalten und ein vierstimmiger Chor das Ave Maria von Mozart gesungen. Lautes Schluchzen und Weinen

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