Solange am Himmel Sterne stehen
der anderen Seite ihres Krankenbetts befindet. Die Dämmerung ist inzwischen fast völliger Dunkelheit gewichen, und Mamies geliebte Sterne sind aufgegangen. Sie scheinen weniger hell zu funkeln als früher, und ich frage mich, ob sie, so wie ich es tue, ohne Mamies Aufmerksamkeit verblassen. »Ich vermisse dich«, flüstere ich nah an ihr Ohr.
Die Apparate, die sie überwachen, piepsen nach wie vor in besänftigenden Rhythmen vor sich hin, aber sie bringen sie nicht zurück. Die Ärztin hat Alain und mir gesagt, dass es manchmal nur eine Frage der Zeit ist und dass das Gehirn von selbst heilt, wenn es so weit ist. Was sie nicht gesagt hat, ich aber in ihren Augen lesen konnte, war, dass ein solcher Patient ebenso oft nicht mehr zurückkommt. Allmählich beginne ich zu begreifen, dass ich meiner Großmutter vielleicht nie wieder in die Augen sehen werde.
Ich habe mich nie für einen Menschen gehalten, der irgendjemanden braucht. Meine Mutter war immer sehr unabhängig. Und nachdem mein Großvater starb, als ich zehn war, war Mamie immer mit der Bäckerei beschäftigt, zu beschäftigt, um mir weiterhin ihre Märchen zu erzählen, zu beschäftigt, um sich meine Geschichten von der Schule und meinen Freunden und allem, was sich in meiner Fantasie abspielte, anzuhören. Meine Mutter hatte sich ohnehin nie besonders für diese Geschichten interessiert, und allmählich hörte ich auf, sie zu erzählen.
Ich brauche niemanden , sagte ich mir, als ich älter wurde. Ich redete mit meiner Mutter oder meiner Großmutter nicht über Schulnoten oder Jungen oder College-Entscheidungen oder sonst irgendetwas. Sie schienen beide so versunken in ihre eigenen Welten, und ich fühlte mich bei beiden wie eine Außenseiterin. Und so schuf ich mir meine eigene Welt.
Erst als ich Annie bekam, lernte ich, jemand anderen in mein Leben zu lassen. Und jetzt, wo sie genau in dem Alter ist, in dem ich war, als ich lernen musste, selbst für mich zu sorgen, ist mir klar geworden, dass ich mich in gewisser Weise fester an sie klammere. Ich will nicht, dass sie aus meinem Universum in ein anderes, selbst geschaffenes abdriftet, so wie ich es getan habe. Und darin, begreife ich, unterscheide ich mich von meiner Großmutter und meiner Mutter.
Aber während Mamie in der Zeit zurückschreitet und fast wieder zu einem Kind geworden ist, seit die Alzheimerkrankheit ihr ihre Lebenszeit stiehlt, habe ich festgestellt, dass sie auch in mein Universum zurückgedriftet ist. Mir ist bewusst geworden, dass ich noch nicht bereit dafür bin, mit Annie allein zu sein. Ich brauche Mamie noch ein bisschen länger hier bei mir.
»Komm zurück, Mamie«, flüstere ich meiner Großmutter zu. »Wir werden versuchen, Jacob zu finden, okay? Du musst nur zu uns zurückkommen.«
Vier Tage später ist Mamies Zustand noch immer unverändert. Ich habe eben die Bäckerei aufgesperrt, als Matt mit einem dicken Paket Unterlagen in der Hand vorbeikommt. Meine Stimmung sinkt. Bei dem ganzen Drama um Mamies Schlaganfall und der Entdeckung von Alains und Jacobs Existenz habe ich die Schwierigkeiten fast vergessen, in denen mein Geschäft steckt.
»Ich will gleich zur Sache kommen«, sagt Matt, nachdem wir uns etwas verlegen begrüßt haben. »Den Investoren gefallen die Zahlen nicht.«
Ich starre ihn an. »Okay …«, sage ich.
»Und ich will ganz ehrlich zu dir sein: dass du ausgerechnet in der Zeit verschwindest und nach Paris fliegst, in der sie über diese Investment-Entscheidung nachdenken, das war, na ja, sagen wir nur so viel, nicht sehr schlau.«
Ich seufze. »Aus geschäftlicher Perspektive vielleicht.«
»Was gibt es denn im Augenblick anderes?«
Ich sehe hinunter auf das Tablett mit Sterntörtchen, das ich in den Händen gehalten habe, seit Matt hereingekommen ist. »Alles«, sage ich leise. Ich sehe einen Moment lächelnd auf die Törtchen, bevor ich sie in die Vitrine schiebe.
Matt sieht mich an, als hätte ich den Verstand verloren. »Hope, sie machen einen Rückzieher. Sie sind die Zahlen durchgegangen, und du bist für sie bestenfalls am Rande von Interesse. Sie waren sich ohnehin unschlüssig, und ich habe mein Bestes getan, um sie zu deinen Gunsten zu überzeugen. Aber als sie gesehen haben, dass du die Bäckerei kurzerhand geschlossen hast … na ja, das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.«
Ich nicke mit hämmerndem Herzen. Mir ist klar, was er mir sagen will: dass ich die Bäckerei vielleicht tatsächlich verloren habe. Und
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