Solange am Himmel Sterne stehen
unser Kind zu retten, unsere Zukunft. Und so traf Rose die schwerste Entscheidung von allen, aber im Grunde war es die einzige Wahl, die sie treffen konnte. Sie tauchte unter.«
Ich spüre, wie ich zu zittern beginne, denn Jacobs Worte, sein leicht singender französischer Tonfall und die Emotion der ganzen Geschichte lassen alles fast wie einen Film vor meinem geistigen Auge ablaufen. »Bei der Großen Moschee von Paris?«
Jacob blickt verblüfft. »Du hast aber gut recherchiert.« Er hält einen Moment inne. »Es war die Idee meines Freundes Jean Michel, der mit mir zusammen im Widerstand arbeitete. Er hatte bereits mehreren Waisenkindern, deren Eltern man deportiert hatte, geholfen, über die Moschee zu fliehen. Er wusste, dass die Muslime Juden retteten, auch wenn sie in erster Linie Kinder aufnahmen. Aber Rose war schwanger, und sie war selbst noch sehr jung. Und als Jean Michel sich an die dortigen geistlichen Oberhäupter wandte, erklärte man sich daher bereit, ihr zu helfen.
Der Plan sah vor, sie zur Moschee zu bringen, wo man sie eine Zeit lang, vielleicht für ein paar Wochen oder einen Monat, als Muslimin verstecken würde, bis es sicher war, sie aus Paris herauszubringen. Dann sollte sie mithilfe des Geldes, das ich Jean Michel gegeben hatte, nach Lyon geschmuggelt werden, wo l’Amitié Chrétienne , die Christliche Gesellschaft, sie mit gefälschten Papieren versorgen und weiter nach Süden schicken würde, möglicherweise zu einer Gruppe namens Œeuvre de Secours aux Enfants , dem Kinderhilfswerk. Sie halfen in erster Linie jüdischen Kindern, in neutrale Länder zu gelangen, aber wir wussten, dass sie Rose wahrscheinlich auch aufnehmen und ihr helfen würden, da sie erst siebzehn war und ein Kind erwartete. Aber darüber hinaus weiß ich nicht, was passiert ist oder wie genau sie entkommen ist. Weißt du, wie sie es geschafft hat?«
»Nein«, sage ich zu ihm. »Aber ich glaube, sie hat meinen Großvater kennengelernt, als er mit der Armee in Europa war. Ich glaube, er hat sie dann mit in die Vereinigten Staaten genommen.«
Jacob blickt verletzt. »Sie hat einen anderen geheiratet«, sagt er leise. »Nun, dann muss sie zu dem Zeitpunkt geglaubt haben, ich sei tot. Ich habe ihr gesagt, sie müsse um jeden Preis überleben und unser Baby beschützen.« Er hält einen Moment inne und fragt dann: »Ist er ein netter Mann? Der Mann, den sie geheiratet hat?«
»Er war ein sehr netter Mann«, sage ich leise. »Er lebt schon lange nicht mehr.«
Jacob nickt und senkt den Blick. »Es tut mir sehr leid.«
»Und was ist mit dir passiert?«, frage ich nach einer langen Pause.
Jacob sieht einige Zeit aus dem Fenster. »Ich bin noch einmal zurückgegangen, um Roses Familie zu holen. Rose hatte mich darum gebeten, aber ehrlich gesagt, hätte ich es sowieso getan. Ich träumte davon, dass wir alle eines Tages zusammen sein könnten, ohne den Schatten der Nazis über uns. Ich dachte, ich könnte sie retten, Hope. Ich war jung und naiv.
Als ich ankam, war es mitten in der Nacht. Die Kinder schliefen alle. Ich klopfte leise an die Tür, und Roses Vater öffnete. Er sah mich nur kurz an, und er wusste Bescheid. ›Sie ist schon gegangen, habe ich recht?‹, fragte er mich. Ich sagte, ja, ich hätte sie an einen sicheren Ort gebracht. Er sah so enttäuscht von mir aus. Ich habe noch immer sein Gesicht vor Augen, als er sagte: ›Jacob, du bist ein Narr. Wenn du sie in den Tod getrieben hast, werde ich dir das nie verzeihen.‹
Die ganze nächste Stunde versuchte ich verzweifelt, ihm nahezubringen, was ich wusste. Ich sagte ihm, die Razzia werde in ein paar Stunden beginnen. Ich sagte ihm, die Zeitung l’Université Libre habe berichtet, ein paar Wochen zuvor seien den Deutschen Unterlagen über rund dreißigtausend jüdische Einwohner von Paris übergeben worden. Ich berichtete ihm von den Warnungen, die die jüdischen Kommunisten ausgegeben hatten, die von Vernichtung sprachen, und dass wir es um jeden Preis vermeiden müssten, verhaftet zu werden.
Er schüttelte nur den Kopf und schimpfte noch einmal, ich sei ein Narr. Selbst wenn die Gerüchte stimmten, sagte er, würde man nur die Männer abholen. Und vermutlich nur die Einwanderer. Daher sei seine Familie nicht wirklich in Gefahr, erklärte er. Ich schwor ihm, ich hätte gehört, dass es diesmal nicht nur die Männer träfe und nicht nur die Einwanderer. Außerdem würden manche Behörden, da Roses Mutter in Polen geboren war, ihre Kinder ebenfalls als
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