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Solange am Himmel Sterne stehen

Solange am Himmel Sterne stehen

Titel: Solange am Himmel Sterne stehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Harmel
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nichtfranzösisch ansehen. Wir könnten das Risiko nicht eingehen. Aber er wollte nicht auf mich hören.«
    Jacob seufzt und hält in seiner Erzählung inne. Ich werfe einen Blick auf Gavin, und als er zu mir herübersieht, ist sein Gesicht blass und traurig. In seinen Augen schimmern Tränen. Ohne lange nachzudenken, ergreife ich seine rechte Hand, die auf seinem Oberschenkel ruht. Er blickt einen Moment verblüfft, aber dann lächelt er, verhakt seine Finger in meinen und erwidert sanft den Druck. Ich blinzele ein paarmal und wende mich dann wieder zu Jacob auf der Rückbank um.
    »Mehr konntest du nicht tun«, sage ich zu ihm. »Ich bin sicher, meine Großmutter wusste, dass du es versuchen würdest. Und du hast es getan.«
    »Das habe ich«, pflichtet Jacob mir bei. »Aber ich habe nicht genug getan. Ich glaubte zwar, dass es zu der Razzia kommen würde, aber ich war nicht selbstbewusst genug, um Roses Vater davon überzeugen zu können. Ich war erst achtzehn, weißt du. Ich war noch ein Junge. Und damals konnte ein Junge einen älteren Mann unmöglich von seinem Standpunkt überzeugen. Ich denke oft, wenn ich mich mehr bemüht hätte, dann hätte ich sie alle retten können. Aber in Wahrheit war mir bewusst, dass eine kleine Chance bestand, dass die Gerüchte falsch waren, daher sprach ich nicht mit der Überzeugung, mit der ich hätte sprechen sollen. Ich werde mir nie verzeihen, dass ich mich nicht mehr bemüht habe.«
    »Es ist nicht deine Schuld«, murmele ich.
    Jacob schüttelt den Kopf und senkt den Blick. »Doch, liebe Hope, das ist es. Ich habe Rose gesagt, ich würde ihre Familie beschützen. Und das habe ich nicht getan.«
    Er stößt einen erstickten Laut aus und wendet sich ab, um wieder aus dem Fenster zu sehen.
    »Es waren andere Zeiten«, nimmt Jacob nach einer langen Pause den Faden wieder auf. »Aber ich hatte die Verantwortung, mehr zu tun.« Er stößt einen tiefen und schweren Seufzer aus, bevor er mit seiner Erzählung fortfährt. »Ich verließ Roses Elternhaus und ging nach Hause zu meinen eigenen Eltern und meiner kleinen Schwester, die erst zwölf Jahre alt war. Mein Vater wusste, genau wie ich, was auf uns zukam, daher war er bereit. Wir gingen zum Restaurant eines Freundes im Quartier Latin, wo sich der Besitzer bereit erklärte, uns in seinem Keller zu verstecken. Dorthin hätte ich Rose auch bringen können, aber das Risiko war zu groß; die Schwangerschaft wäre ihr bald anzusehen gewesen, und ich wusste, wenn sie dann verhaftet wurde, würde sie sofort in den Tod geschickt werden. Daher musste ich sie aus Frankreich herausbringen, an einen sicheren Ort, irgendwohin, wo die Deutschen sie niemals finden würden.
    Mein Vater und ich waren uns gleichzeitig einig, dass es die sicherste Lösung für unsere Familie war, die Razzia in dem Versteck abzuwarten und unser Leben dann einfach weiterzuleben und die Ohren immer offen zu halten, um gewarnt zu sein, wenn die Deutschen kamen. In jener Nacht, und noch den ganzen nächsten und übernächsten Tag, versteckten wir uns in einem überfüllten Raum im Keller des Restaurants, während wir uns fragten, ob man uns dort aufspüren würde. Am Ende des dritten Tages kamen wir wieder heraus, hungrig und erschöpft, und glaubten, das Schlimmste sei überstanden.
    Ich wollte unbedingt zur Großen Moschee von Paris gehen, wohin man, wie ich wusste, Rose gebracht hatte. Aber mein Vater hielt mich davon ab. Er rief mir in Erinnerung, dass ich Rose und alle anderen dort dadurch nur in Gefahr brächte. Und so gelang es mir stattdessen nur, über meinen Freund Jean Michel die Nachricht zu erhalten, dass sie noch immer in Sicherheit war. Ich bat ihn, ihr zu sagen, dass ich ebenfalls lebte und dass ich bald zu ihr stoßen würde, aber ich weiß nicht, ob sie diese Nachricht je erhalten hat. Nur zwei Tage später stand die französische Polizei vor unserer Tür, um meinen Vater und mich abzuholen. Sie wussten, dass wir dem Widerstand angehörten, und das war der Preis dafür.
    Sie nahmen auch meine Schwester und meine Mutter mit, und in Drancy, dem Durchgangslager bei Paris, wurden wir getrennt und in verschiedene Baracken gebracht. Ich habe sie nie wiedergesehen, aber später habe ich erfahren, dass sie nach Auschwitz deportiert wurden, genau wie mein Vater und ich.«
    Wir alle verfallen für einen Moment in Schweigen, und mir fällt auf, dass die Sonne draußen lange Schatten über die Felder zu beiden Seiten der Autobahn wirft. Mein Magen verkrampft sich

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