Solange am Himmel Sterne stehen
immer vor und nach der Arbeit hingegangen. Die einzigen Tage, an denen ich nicht im Park gewartet habe, waren der Tag, an dem ich mir die Hüfte brach, und die Tage nach dem elften September, als es unmöglich war, in den Park zu gelangen. Um genau zu sein, stand ich in dem Park, als das erste Flugzeug ins World Trade Center einschlug.« Er schweigt einen Moment und ergänzt dann leise: »Das war das zweite Mal in meinem Leben, dass ich sah, wie die Welt vor meinen Augen zusammenbrach.«
Ich brauche einen Augenblick, um das zu verdauen. »Wieso warst du dir so sicher, dass Mamie kommen würde? Hast du nicht irgendwann angefangen zu glauben, sie könnte tot sein?«
Er denkt einen Augenblick darüber nach. »Nein. Das hätte ich gefühlt. Das hätte ich gewusst.«
»Wie denn?«, frage ich leise. Ich will ihm nicht zu nahe treten; ich kann mir nur nicht vorstellen, siebzig Jahre lang aufgrund eines Gefühls an etwas festzuhalten.
Jacob starrt einen Moment aus dem Fenster und wendet sich dann mit einem leisen, traurigen Lächeln an mich. »Ich hätte es in meiner Seele gefühlt, Hope«, sagt er. »Verstehst du das? So etwas gibt es nicht sehr oft im Leben, aber wenn zwei Menschen eine solche Verbundenheit finden, die Art Verbundenheit, die deine Großmutter und ich haben, dann schweißt sie das für immer zusammen. Ich hätte gefühlt, dass ein Teil meiner Seele fehlte, wenn sie nicht mehr wäre. Als Gott uns zusammengeführt hat, da hat Er aus uns zwei Hälften desselben Ganzen gemacht.«
Gavins Griff um meine Hand verstärkt sich auf einmal, und er sieht mich mit aufgerissenen Augen an.
»Was denn?«, frage ich ihn.
Anstatt zu antworten, sieht er in den Rückspiegel. »Jacob?«, fragt er. »Was genau meinen Sie damit? Dass Gott Sie beide zusammengeführt hat?«
Und in diesem Augenblick, noch bevor Jacob antwortet, verstehe ich, worauf Gavin hinauswill, und ich weiß, was Jacob im Begriff ist zu sagen.
»Der Tag, an dem Rose und ich geheiratet haben«, sagt Jacob. »Da wurden wir in Gottes Augen eins.«
Ich schlucke schwer. »Du und Mamie wart verheiratet?«, wiederhole ich.
Jacob blickt verblüfft. »Aber natürlich«, sagt er. »Wir haben heimlich geheiratet. Ihre Familie wusste nichts davon, ebenso wenig wie meine. Sie hielten uns für zu jung. Wir sehnten uns nach dem Tag, an dem wir vor ihnen eine Zeremonie abhalten könnten, um mit den Menschen zu feiern, die wir am meisten liebten. Aber diese Chance haben wir nie bekommen.«
Ich versuche angestrengt, das zu begreifen, und auf einmal wird mir klar, was es heißt: Wenn meine Großmutter mit Jacob verheiratet war, dann war ihre Ehe mit meinem Großvater nie wirklich gültig. Wieder verspüre ich einen schmerzlichen Stich um seinetwillen; um der drohenden Verluste willen, von denen er nie etwas ahnte.
Oder hatte er es doch gewusst? Hatte mein Großvater, als er 1949 nach Paris fuhr, vielleicht herausgefunden, dass Jacob Levy überlebt hatte, und erkannt, dass allein schon Jacobs Existenz seine eigene Verbindung mit meiner Großmutter für ungültig erklären würde? Hatte er Mamie deshalb erzählt, Jacob wäre umgekommen? Bei dem Gedanken verkrampft sich mein Magen schmerzhaft, und ich begreife, dass ich die Antwort vielleicht niemals erfahren werde.
»Hast du meine Großmutter geheiratet, weil sie bereits schwanger war?«, wage ich zu fragen.
»Nein.« Jacob schüttelt entschieden den Kopf. »Wir haben geheiratet, weil wir uns liebten. Wir haben geheiratet, weil wir befürchteten, der Krieg würde uns auseinanderreißen. Wir haben geheiratet, weil wir wussten, dass wir füreinander bestimmt waren. Das Baby wurde, glaube ich, in unserer Hochzeitsnacht gezeugt, als wir zum ersten Mal auf diese Weise zusammen waren.«
Ich schließe die Augen, während ich diese Tatsache verdaue. Meine Mutter war nicht die Folge einer Affäre zweier Teenager gewesen; sie war in einer Ehe gezeugt worden. Sie war das Ergebnis der Vollendung der Liebe zwischen Mamie und Jacob gewesen. Sie und dann ich – und noch später Annie – waren alles, was von der verhängnisvollen Verbindung zweier Seelenverwandter geblieben war.
»Verstehst du denn nicht?«, fragt Jacob nach langem Schweigen. »Ich hatte die ganze Zeit recht. Rose hat überlebt. Ich habe es aus tiefstem Herzen gewusst. Und jetzt werde ich sie endlich wiedersehen.«
Kurz hinter Providence schläft Jacob ein, und im schwindenden Abendlicht sitzen Gavin und ich schweigend nebeneinander, jeder in seine eigene Welt
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