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Solange am Himmel Sterne stehen

Solange am Himmel Sterne stehen

Titel: Solange am Himmel Sterne stehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Harmel
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Großvater in Spanien kennengelernt«, werfe ich ein.
    »Ihr Großvater ist nicht Jacob?«, fragt Monsieur Haddam stirnrunzelnd. »Es scheint mir unmöglich, dass sie so bald jemand anderen geliebt hat.«
    »Nein«, sage ich leise. »Der Name meines Großvaters war Ted.«
    Er senkt den Kopf. »Also hat sie jemand anderen geheiratet.« Er schweigt einen Moment. »Ich bin immer davon ausgegangen, Rose sei umgekommen«, sagt er. »So viele sind damals umgekommen. Ich dachte immer, wenn sie überlebt hätte, dann hätte sie sich nach dem Krieg bestimmt gemeldet. Aber vielleicht wollte sie dieses Leben nur noch vergessen.«
    Ich muss daran denken, was Gavin mir über manche Holocaust-Überlebende erzählt hat, dass sie einen Neuanfang machen wollten, als sie glaubten, sie hätten alles verloren.
    »Aber warum gibt es überhaupt keine Unterlagen darüber?«, frage ich einen Augenblick später. »Was Ihre Familie getan hat, war so mutig und heldenhaft. Und was andere Leute in der Großen Moschee getan haben, auch.«
    Monsieur Haddam lächelt. »Damals konnten wir keinerlei schriftliche Aufzeichnungen führen«, sagt er. »Wir wussten, dass wir unser Schicksal mit dem der Menschen, die wir retteten, verknüpften. Wenn die Nazis – oder die französische Polizei – eine Razzia in der Moschee durchgeführt und auch nur einen einzigen Beweis gefunden hätten, dann hätte das für uns alle das Ende bedeuten können. Daher haben wir im Stillen geholfen«, kommt er zum Schluss. »Das ist mein größter Stolz im Leben.«
    »Danke«, flüstert Alain. »Für das, was Sie getan haben. Dafür, dass Sie meine Schwester gerettet haben.«
    Monsieur Haddam schüttelt den Kopf. »Sie müssen sich nicht bedanken. Es war unsere Pflicht. Unsere Religion lehrt uns: ›Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt.‹«
    Alain stößt einen seltsam erstickten Laut aus. »Im Talmud steht geschrieben: ›Wenn du ein Leben rettest, ist es, als hättest du die Welt gerettet‹«, sagt er leise.
    Er und Monsieur Haddam sehen sich einen Augenblick lächelnd an.
    »Dann sind wir gar nicht so verschieden«, meint Monsieur Haddam. Er blickt zu Henri und Simon und dann wieder zurück zu Alain. »Ich habe den Krieg zwischen unseren Religionen oder den Krieg mit dem Christentum nie verstanden. Wenn ich während der Zeit, die die junge Rose bei uns verbracht hat, eines gelernt habe, dann, dass wir alle zu demselben Gott sprechen. Es ist nicht die Religion, die die Menschheit trennt. Es ist das Gute und das Böse hier auf der Erde, das uns trennt.«
    Die Worte dringen in unser Bewusstsein ein, während wir einander schweigend ansehen.
    »Ihre Schwester«, wendet sich Monsieur Haddam dann wieder an Alain, »hat jeden Tag darunter gelitten, dass sie ihre Familie verlassen hat. Sie hat immer geglaubt, sie hätte nicht genug getan, um Sie alle zu retten. Aber Sie verstehen natürlich, dass sie nur getan hat, was sie tun musste. Sie musste ihr Baby retten.«
    In der Stille, die darauf folgt, könnte man eine Stecknadel fallen hören. »Ihr Baby?«, fragt Alain schließlich mit einer Stimme, die eine Oktave höher ist, als sie sein sollte. Mein Mund ist mit einem Mal wie ausgedörrt.
    »Ja, natürlich«, sagt Monsieur Haddam. Er blinzelt uns an. »Deswegen ist sie doch hierhergekommen. Sie erwartete ein Kind. Wussten Sie das denn nicht?«
    Alain dreht sich zu mir um und starrt mich an. »Hast du das gewusst?«
    »Natürlich nicht«, erwidere ich. »Das … das kann auch gar nicht sein. Meine Mutter wurde erst 1944 geboren.« Ich wende mich wieder an Monsieur Haddam. »Und meine Mom hatte keine Geschwister. Meine Großmutter kann 1942 nicht schwanger gewesen sein.«
    Monsieur Haddam schweigt kurz und erhebt sich. »Entschuldigen Sie mich bitte einen Augenblick«, sagt er. Er verschwindet in sein Schlafzimmer, während Alain und ich uns wieder anstarren.
    »Wie hätte sie denn schwanger sein können?«, fragt Alain.
    »Na ja, sie und Jacob waren verliebt …«, wirft Henri ein, und seine Stimme verliert sich.
    Alain schüttelt den Kopf. »Nein, ausgeschlossen. Sie war streng religiös«, erklärt er. »So etwas hätte sie niemals getan.« Er wirft einen Blick auf mich und fügt hinzu: »Die Zeiten waren damals anders. Die Leute gingen vor der Ehe keine Beziehungen ein. Und Rose mit Sicherheit nicht.«
    »Vielleicht erinnert sich Monsieur Haddam falsch«, sage ich.
    Aber als er einen Augenblick später aus seinem Schlafzimmer zurückkommt, hält er ein Foto in der

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