Solange, bis ich dich finde: Roman (German Edition)
hätte. Es ist 07:51 Uhr. Ich muss zur Arbeit und werde schon wieder zu spät kommen.
Nach einigen Kopfwehtabletten und 5 Litern Wasser, die ich heute getrunken habe, geht es mir ein klein bisschen besser. Am liebsten würde ich heute nichts mehr machen, aber ich traue mich nicht, Sarah das kundzutun. Sie macht sich eifrig zurecht, während ich mir einen Anzug anziehe und mein Gesicht sowie meine Frisur mir heute egal sind. Ich liege halb gerichtet auf dem Bett und wundere mich, warum Sarah kein Wort von letzter Nacht erwähnt hat, von meinem unerwarteten Besuch gestern Mittag ganz zu schweigen. Ich werde versuchen, nach der Theatervorstellung mit ihr zu reden. „Kommst du? Ich bin fertig“, ruft Sarah aus dem Bad. Fertig? Jetzt noch schnell die Schuhe an und das Jackett nicht vergessen. Ich komme nicht in die Schuhe hinein und mein Schuhlöffel ist nicht in der Nähe. Ich brauche viel zu lange. Sie wird wieder sauer sein. Nach fünf Minuten habe ich es dann doch geschafft. Als ich in die Küche laufe und Sarah dort antreffe, blickt sie mich wütend an und meint, dass wir meinetwegen die ersten Minuten verpassen würden. Ich laufe ihr wie ein ungezogener Schuljunge hinterher und steige ins Auto. Als wir nach 30 Minuten angekommen sind, knallt sie die Autotür zu und geht voraus. Es ist 19:56 Uhr. Mit den Karten in der Hand laufe ich ihr schnell nach.
„Sarah, ich bitte dich. Die Vorstellung beginnt um 20 Uhr. Wir sind ja gleich drin.“
Doch Sarah sagt kein Wort und geht zügig voran. Die Schlange an der Abendkasse ist lang. Jetzt starrt mich Sarah noch wütender an als zuvor. Ich schlucke und traue mich kein Wort mehr zu sagen. Endlich sind wir weiter vorangekommen, da höre ich etwas weiter hinter mir ein Geschrei. Eine Frau schreit ganz laut „Aua“, und da muss ich mich, wie einige andere Leute auch, umdrehen. Sie scheint sich mit einer anderen Frau zu streiten und humpelt dabei auf einem Bein. Kenne ich diese Frau nicht? Jetzt schaut sie mich an. Sie hat mich ebenfalls erkannt. Ist das nicht die Frau ...? Das ist die Frau aus dem Zug! Oh mein Gott, dass ich sie heute sehe, damit hätte ich nicht gerechnet. Sie sieht bezaubernd aus in ihrem kurzen, roséfarbenen Kleid. Schnell, sag Hallo oder winke ihr zu. Ich muss doch etwas machen. Ich nicke ihr freundlich zu und muss dabei lächeln. Jetzt hebt sie ihre Hand. Schnell muss ich wieder nach vorne blicken, die Schlange bewegt sich weiter. Ich schaue zu Sarah rüber und glaube, dass sie sich ein wenig beruhigt hat. Langsam lege ich meinen Arm um sie und sie lässt es zu. Der Abend scheint sich doch noch zum Guten zu wenden.
Während der gesamten Vorstellung kann ich an nichts anderes denken als an die Frau von vorhin. Wie sie mich angeschaut hat. Fast hätte man meinen können, dass sie sich genauso gefreut hat, mich zu sehen, wie ich mich gefreut habe, sie zu sehen. Dieser liebevolle Ausdruck in ihren Augen geht mir nicht mehr aus dem Kopf, genauso wie ihr Körper, den ich unter ihrem Kleid nur erahnen kann. Plötzlich ergreift mich Sarahs Hand und sie fragt schluchzend nach einem Taschentuch. „Findest du nicht auch, dass sie ihn gar nicht verdient hat?“, fragt sie mich. Ich weiß gar nicht, worum es geht, aber sie schaut mich an und erwartet eine Antwort. „Sie hat ihn ganz bestimmt nicht verdient“, sage ich verkrampft. Hoffentlich fragt sie mich nicht noch mehr. Diese Singerei auf der Bühne macht mich ganz nervös.
Endlich ist das Stück aus und wir können gehen. Jeder scheint zur selben Minute gehen zu wollen. „Komm“, sage ich zu Sarah, nehme sie bei der Hand und ziehe sie hinter mir her. Ständig drückt jemand von hinten, so dass ich mein Gleichgewicht verliere und nach vorne falle. „Sag mal, geht es noch?“, werde ich wütend angeschrien, als die vordere Person meinetwegen auf den Boden gedrückt wird. „Entschuldigen Sie bitte. Ich bin selbst fast erdrückt worden“, gebe ich schuldbewusst zurück. Und jetzt sehe ich, dass es die Frau aus dem Zug ist, die ich fast erdrückt hätte. „Oh, Sie sind es“, sage ich, um meine Verlegenheit zu überspielen. „Ja“, ist das Einzige, was diese Frau sagt. Sarah drückt mich von hinten und möchte, dass ich weitergehe. Ich habe quasi keine Chance und muss weiter. Einmal noch schaue ich zurück um sie zu sehen. Auch sie schaut mir hinterher. Sarah eilt mit schnellen Schritten voraus, fast so, als wäre ich Luft. Ist sie etwa immer noch sauer, weil wir zu spät ins Theater gekommen
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