Solange, bis ich dich finde: Roman (German Edition)
auch mitgenommen, ganz abgesehen davon, dass es ihm gehört. Jetzt bin ich auf den Zug angewiesen und versuche schwarz zu fahren. Bisher hat es immer geklappt. Wenn ein Kontrolleur die Tickets kontrollierte, bin ich entweder beim nächsten Halt raus oder habe mich in der Toilette eingesperrt. Das Läuten der Kirchenglocke reißt mich aus meinen Gedanken und erinnert mich an den Zug, der in wenigen Minuten losfährt. Eilig gehe ich zwischen den Passanten vorbei, in Richtung Bahnhof. Noch fünf Minuten. Warum sind immer gerade dann so viele Leute auf einmal unterwegs, wenn ich es eilig habe? Ich drängle mich durch und rempele dabei einige Personen an. Verärgert blicken sie mich an und selbst eine höfliche Entschuldigung ist nichts wert. Aber ich habe keine Zeit mehr. Noch 3 Minuten. Jetzt die Unterführung und dann Gleis 4. Völlig außer Atem schaffe ich es schließlich auf die letzte Minute. Der Zug ist voll und die Türen sind geschlossen. Im Wagon für die erste Klasse bin ich sicherlich ganz verkehrt. Schnell versuche ich mich zwischen neugierigen Gesichtern in die zweite Klasse vorzutasten. Links und rechts ist bereits alles belegt. Dann versuche ich es in den Zugabteilen. Alles voll, bis auf die vorletzte. Dort befindet sich ein Mann. Ich weiß nicht so recht, vielleicht möchte er alleine sein. Vorsichtshalber schaue ich noch mal die Sitzplätze durch, vielleicht habe ich ja einen freien Platz übersehen. Der Zug fährt längst, und ich irre immer noch zwischen allen Leuten herum. Kurz entschlossen begebe ich mich doch zur vorletzten Einzelkabine und frage den Mann, ob es ihn nicht störe, wenn ich einige Minuten in seinem Abteil sitze. Dieser charmant wirkende, dunkelhaarige Mann, lächelt mich kurz an und meint, es wäre durchaus kein Problem. Endlich habe ich einen Platz und bin von dieser Menschenmenge befreit. Meinen Terminkalender habe ich zum Glück immer dabei. Den brauche ich besonders für Situationen wie diese. Zwei fremde Menschen sitzen sich gegenüber und niemand weiß, was er sagen soll. Ich kann leider nichts sagen, da ich viel zu beschäftigt bin, auch wenn mein Terminkalender eigentlich leer ist. Aber das weiß er ja nicht und so kritzele ich irgendwelche Zeichnungen hinein. Er trägt elegante Schuhe. Wieso eigentlich nicht, ich werde sie zeichnen. Und bestimmt bemerkt er es nicht, da ich ja auch auf den Boden starren könnte.
Die Sohle ist fertig doch leider muss er genau in diesem Augenblick seine Beine überschlagen. Weg ist meine Perspektive. Ganz in meiner Zeichnung vertieft habe ich nicht bemerkt, wie ich mit meinen Augen seinen Schuhen gefolgt bin. Oh Gott, ist das peinlich. Hoffentlich hat er es nicht bemerkt. Ich schaue kurz zu ihm hoch und versuche meinem Ausdruck eine Zufälligkeit zu verleihen. Als sich unsere Blicke treffen, grinst er. Ich wusste es, er hat es gemerkt. Wie versteinert lasse ich seinen Blick nicht mehr aus meinen Augen. Und jetzt merke ich, wie die Situation immer unangenehmer wird. Schnellstmöglich drehe ich mich weg, und dabei fällt mir mein Stift aus der Hand. Gut, denke ich mir, das lockert die Situation auf. Als ich mich bücke, um ihn zu aufzuheben, schaue ich nochmals kurz hoch, um dem Mann zuzulächeln. Anstatt dass er zurücklächelt, fixiert er mich mit seinen meeresblauen Augen. Ich setzte mich sofort wieder gerade hin, schlage meine Beine übereinander und schaue dann, ohne ihn noch einmal anzublicken, aus dem Fenster und spiele mir selbst Interesse an der vorbeifliegenden Landschaft vor. Während ich das tue, fühle ich einen sanften Stich in der Magengegend und gleichsam sehe ich seine blauen Augen ganz deutlich in meinem Innern vor mir. Noch zehn Minuten. Dann habe ich es, wieder einmal, ohne Fahrkarte geschafft und vor allem ist die Beklemmung gegenüber diesem Mann, vorbei. Noch 5 Minuten. Voller Vorfreude packe ich meinen Terminkalender in die Handtasche und mache mich für den nächsten Halt bereit. Plötzlich höre ich weiter weg von mir eine unangenehme, fordernde Stimme: „Fahrkarten!“ Ein Blitz durchfährt meine Knochen und ich rutsche sichtlich nervös auf meinem Sitz hin und her. Jetzt bemerke ich auch die verunsicherten Blicke des Mannes, der meine Nervosität bemerkt. Ich krame nochmals in meiner Handtasche und sage dann: „Oh mein Gott, ich muss meine Brieftasche irgendwo im Zug verloren haben“. Schnurstracks stehe ich auf und renne aus der Kabine.
Kapitel 2
„Guten Morgen Schatz. Die Brötchen liegen, wie immer, auf dem
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