Solange, bis ich dich finde: Roman (German Edition)
sind?
„Sarah, so warte doch!“ Sie läuft stur weiter, ohne sich einmal umzudrehen. Also sie ist immer noch sauer. Das gibt es ja nicht. Endlich am Auto angekommen, öffne ich ihr die Tür. „Bitteschön.“ Sarah steigt ein und knallt die Türe hinter sich zu. „Sehr charmant“, denke ich mir. Ich setze mich ebenfalls ins Auto und schon fahren wir. Lieber sage ich kein Wort, denn ich weiß sowieso nicht, was mit ihr los ist. Da wir kein Wort miteinander sprechen, drehe ich das Radio auf, als gerade ein Song von Eric Clapton, „Tears in Heaven“, läuft. Ich liebe dieses Lied und würde am liebsten mitsingen, als es plötzlich ganz still wird. Sarah hat das Radio ausgeschaltet und schaut wieder eingeschnappt aus zum Fenster hinaus. „Vielen Dank“, sage ich.
„Nichts zu danken“, entgegnet sie mir.
„Was ist los? Sprich einfach mal mit mir“, fordere ich sie auf. „Wieso sprichst du nicht einfach mit der Frau, der du vorhin begegnet bist?“ Aha. Hier läuft also der Hase lang. Sie meint die Frau aus dem Zug. „Ich habe mich lediglich bei ihr entschuldigt für die Unannehmlichkeiten, als sie beinahe meinetwegen auf dem Boden gedrückt wurde. Was soll das denn Sarah?“
„Ja, und am Schluss kam dann … ,Oh Sie sind es und eure Blicke konntet ihr ja kaum voneinander lassen.“ Statt ihr zu antworten, muss ich über diese Worte nachdenken. War es so auffallend?
Gerade jetzt, wo ich an diese Frau denke, zieht ein seltsames Gefühl in meine Bauchgegend. Doch ich muss mich wieder auf Sarah besinnen. Sie scheint sehr betroffen zu sein.
„Sie ist eine Arbeitskollegin von mir. Wir kennen uns schon lange. Du musst Gespenster gesehen haben“, erkläre ich Sarah und dabei bemerke ich, wie ich sie gerade angelogen habe. Wieso lüge ich sie an? Ich hätte ihr doch erzählen können, dass wir uns im Zug begegnet sind. Aus irgendeinem Grund fühle ich, dass es falsch wäre, ihr davon zu erzählen. Immerhin muss ich öfters an diese Frau denken, als es normal wäre.
„Eine Arbeitskollegin. Aha. Und wie heißt sie?“ Jetzt merke ich, wie mir Schweißperlen von der Stirn rennen. Nervös rutsche ich auf meinem Sitz hin und her und drücke zur Ablenkung ein paar Knöpfe am Radio. „Also wie heißt sie?“, fragt mich Sarah noch mal und eindringlicher.
„Sie, sie heißt Katharina“, sage ich stockend und schaue ihr dabei in die Augen, um ehrlich und aufrichtig zu wirken. Gleichzeitig steigt in mir ein Gefühl von Unbehaglichkeit auf. Ich lüge für eine Frau, die ich nicht einmal kenne, und dabei lüge ich auch noch meine Ehefrau an.
„Arbeitet sie in deiner Abteilung?“, ist die nächste Frage. Je mehr sie mich fragt, desto mehr muss ich lügen. Nur noch einmal werde ich es tun, damit sie keine weiteren Fragen stellt. „Nicht in meiner Abteilung. Buchhaltung.“
„Und wie …“
„Nichts mehr weiter okay? Sie heißt Katharina, arbeitet in der Buchhaltung und mehr weiß ich auch nicht über sie. Ich möchte, dass du dieses Thema jetzt lässt und deine Eifersucht auch.“ Ich kenne Sarah gar nicht eifersüchtig. Bisher war immer alles klar zwischen uns. Sie hatte nie Befürchtungen gehabt, und selbst wenn mich andere Frauen angelächelt oder versucht hatten, mit mir zu flirten, blieb Sarah stets gleichgültig. Sie war sich meiner sehr sicher, so als wäre ich mit dem Ehering am Finger ihr Besitz. Wieso kommt sie gerade jetzt ins Schwanken?
Seit unserer Auseinandersetzung im Auto hat sich Sarah wieder beruhigt. Wir liegen nebeneinander im Bett und ich betrachte den Mond vom Fenster aus. Bald ist er voll. Vielleicht noch zwei oder drei Tage. Beide sind wir noch hellwach, doch keiner sagt etwas. Ich schließe meine Augen und tue so, als würde ich schlafen. Dabei denke ich immer wieder an diese Frau und jetzt merke ich, dass ich gar nichts von ihr weiß. Ihren Namen, wo sie arbeitet, wo sie wohnt. Nichts weiß ich. Sie war mittags in dem Zug. Es müsste um die 15 Uhr gewesen sein. Ich werde die nächsten Tage wieder mit diesem Zug fahren. Wie kann ich sie denn sonst sehen? Als ich meine Augen leicht öffne und zu Sarah hinüberblicke, sehe ich, dass sie eingeschlafen ist. Ich betrachte sie eine Weile und die Erkenntnis, dass mein Herz sich von ihr gelöst hat, schmerzt. Ich könnte sie lieben, wenn ich wollte. Aber es wäre immer eine gesteuerte, eingebildete Liebe. Ist wahre Liebe nicht die, die einen unfähig und blind macht? Die einen Dinge tun lässt, wozu man sonst nie in der Lage gewesen wäre?
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