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Solange du schläfst

Solange du schläfst

Titel: Solange du schläfst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Szillat
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ganz sachlichen Gesichtsausdruck. »Zeigen sich solche Reaktionen bei einem Komapatienten, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass er wieder aus der tiefen Bewusstlosigkeit erwacht.«
    »Das heißt, Jérôme hat gemerkt, dass ich seine Hand berührt und mit ihm gesprochen habe«, flüsterte ich mit angehaltenem Atem.
    Sabine nickte. »So ist es. Solange ein Mensch lebt, nimmt er etwas wahr und ist über Empfindungen und Bewegungen mit seiner Umwelt verbunden.«
    Plötzlich musste ich wieder an mein Erlebnis auf der Lichtung denken, und ich verspürte das unbändige Verlangen, mit jemandem darüber zu reden. »Gestern Abend ist mir etwas Komisches passiert«, begann ich zögerlich.
    Jérômes Mutter schaute mich aufmerksam an.
    »Es klingt vielleicht ein bisschen verrückt, aber ich hatte mit einem Mal das Gefühl, dass Jérôme bei mir wäre. Seine Stimme war in meinem Kopf. Aber nicht so, als wenn ich mir eine Stimme ins Gedächtnis rufen würde. Es fühlte sich eheran, als ob er mit seinen Gedanken in meinem Kopf wäre.« Ich stockte, weil mir klar wurde, wie bescheuert sich das anhörte. »Ich weiß, das klingt total verrückt, aber ich habe ihn gespürt und gehört, und dann bin ich ohnmächtig geworden.«
    Sabine schwieg, und ich dachte schon, sie würde das Ganze gleich als ein Hirngespinst abtun, doch dann beugte sie sich zu mir vor und sagte: »Ich würde dir gern etwas erzählen, Anna. Etwas, das vor vielen Jahren passiert ist und das mein Leben verändert hat.« Wieder schwieg sie und schaute gedankenverloren zu Boden. »Hat Jérôme dir mal von seinem Vater erzählt?« Ich nickte. »Ein wenig. Dass er vor sechs Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist und dass er auch Arzt war.«
    Sabine lächelte versonnen. »Ja, und was für einer. Ich war unglaublich stolz auf ihn. Weißt du, er hat es nicht leicht gehabt, seine Familie stammt aus Kenia und für das Studium in Deutschland mussten sich alle ganz schön ins Zeug legen. Na ja …« Sie hielt kurz inne. Ich fragte mich, was das Ganze mit dem, was ich ihr erzählt hatte, zu tun haben könnte.
    »François war in Panama und ich in Deutschland, als er starb«, erzählte sie mir. »Er war mit seinem Jeep von der Straße abgekommen und hatte sich mehrere Male überschlagen. Noch ehe der Anruf kam, wusste ich, dass ihm etwas zugestoßen war. Und das, obwohl wir Tausende von Kilometern voneinander entfernt waren. Ich habe es irgendwie gespürt.«
    Erst jetzt merkte ich, dass ich wie gebannt die Luft angehalten hatte. »Aber so etwas ist doch gar nicht möglich«, entfuhr es mir.
    »Ja, manche mögen das für absurd halten. Aber neben der physikalischen Welt gibt es noch geistige, spirituelle Dimensionen, die anderen Gesetzen gehorchen. Man muss sich nurdarauf einlassen. Nach dem Tod von François habe ich mich viel damit beschäftigt.«
    »Du glaubst also, ich habe mir das nicht eingebildet? Jérôme war … wirklich bei mir?«, flüsterte ich.
    »Ja, das glaube ich«, sagte Sabine ernst. »Weißt du, ich habe in Afrika so viel erlebt, es gibt nicht nur Schwarz und Weiß, dazwischen liegen unzählige Farben. Manche sind so schwach, so zart und zerbrechlich, dass nur wenige Menschen überhaupt in der Lage sind, sie zu sehen.«
    Ich ließ mich ermattet gegen die Stuhllehne zurücksinken und starrte Sabine fassungslos an. »Aber was hat das zu bedeuten?«, fragte ich.
    Das hörte sich alles so verrückt an. Wie sollte das funktionieren? Und warum konnte ich Jérôme erst jetzt hören, wo er im Koma lag? Wenn wir eine Art telepathische Verbindung hatten, dann hätte sie doch schon vorher bestehen müssen.
    Sabine schüttelte langsam den Kopf. »Ich weiß es nicht, Anna. Ich weiß wirklich nicht, was es bedeutet. Aber ich bin mir sicher, dass es möglich ist.«

23.
    »Nanu«, wunderte sich Claudia, als wir in die Hauseinfahrt einbogen und ein schwarzer BMW auf dem Hof stand. »Wer ist das denn?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.« Ich war in Gedanken noch ganz bei dem Gespräch mit Jérômes Mutter.
    Claudia parkte den Wagen direkt neben dem BMW und stieg aus. Ich blieb noch einen Moment im Auto sitzen, als ich in einem der Männer den Polizisten erkannte, der neulich schon wegen des Einbruchs im Pferdestall bei uns gewesen war.
    Ganz bestimmt waren sie wegen Jérôme hier. Und sicher wollten sie mir wieder irgendeine miese Lüge über ihn auftischen.
    Ein zweiter Polizist kam auf meine Mutter zu und reichte ihr die Hand.
    Ich seufzte und

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