Solange es hell ist
konnte sie nie jemand Zuverlässiges haben, um die Tür zu öffnen?
Plötzlich ging diese auf, und Jane selbst stand da. Sie sah erhitzt aus.
»Wo ist Alice?«, fragte Everard anstelle einer Begrüßung.
»Ach, sie hat leider – sie ist heute unpässlich.«
»Also wieder betrunken«, sagte Everard grimmig.
Zu schade, dass Jane eine so unverbesserliche Lügnerin war.
»Ich glaube, ja«, sagte Jane widerwillig.
»Ich möchte sie sehen.«
Er trat forsch in die Wohnung. Jane folgte ihm mit entwaffnender Unterwürfigkeit. Er fand die pflichtvergessene Alice in der Küche. An ihrem Zustand bestand nicht der geringste Zweifel. Grimmig schweigend folgte er Jane ins Wohnzimmer.
»Du musst diese Frau loswerden«, erklärte er. »Das habe ich dir schon früher gesagt.«
»Ja, ich weiß, Alan, aber das kann ich nicht. Du vergisst, dass ihr Mann im Gefängnis ist.«
»Wo er auch hingehört«, sagte Everard. »Wie oft war diese Frau schon betrunken in den drei Monaten, seit du sie hast?«
»Nicht sehr oft; vielleicht drei- bis viermal. Sie ist eben hin und wieder bedrückt.«
»Drei- bis viermal! Neun- bis zehnmal käme der Sache wohl näher. Und wie kocht sie? Miserabel. Ist sie dir hier in der Wohnung auch nur im Geringsten eine Hilfe? Überhaupt nicht. Um Himmels willen, Jane, wirf sie gleich morgen Früh hinaus und stell ein Mädchen ein, das etwas taugt.«
Jane sah ihn unglücklich an.
»Du wirst es natürlich nicht tun«, sagte Everard düster und ließ sich in einen Sessel sinken. »Du bist ein unmöglich sentimentales Geschöpf. Was höre ich da, du willst mit Winnie ans Meer fahren? Wer hat das vorgeschlagen, du oder Isobel?«
Jane sagte schnell: »Ich natürlich.«
»Jane«, sagte Everard, »wenn du lernen würdest, die Wahrheit zu sagen, hätte ich dich wirklich sehr gern. Setz dich hin und tisch mir um Himmels willen mal zehn Minuten keine Lügen auf.«
»Ach Alan!«, sagte Jane und nahm Platz.
Der Maler musterte sie eine Weile kritisch. Mrs Lemprière – dieses unmögliche Weib – hatte absolut Recht gehabt. Er war bei der Darstellung Janes grausam gewesen. Jane war beinahe schön, aber eben nicht ganz. Ihre schmalen Züge waren rein griechisch. Was Jane linkisch machte, war ihre Beflissenheit. Und auf diese hatte er sich gestürzt – sie verstärkt, die Linie des leicht spitzen Kinns verschärft, den Körper in eine hässliche Pose gezwungen.
Warum? Warum war es ihm unmöglich, fünf Minuten mit Jane in einem Raum zu sein, ohne dass er sich über sie zu ärgern begann? Man konnte sagen, was man wollte, Jane war ein Schatz, aber irritierend. Bei ihr fühlte er sich nie getröstet und geborgen wie bei Isobel. Und dabei war Jane immer so beflissen, immer bereit, allem zuzustimmen, was er sagte, aber – leider! – so offenkundig unfähig, ihre wahren Gefühle zu verbergen.
Er sah sich im Zimmer um. Typisch Jane. Einige schöne Stücke, echte Prachtexemplare, wie zum Beispiel dieses Battersea-Email, und gleich daneben eine absolut abscheuliche Vase, die mit Rosen bemalt war.
Er nahm die Vase in die Hand.
»Wärst du mir sehr böse, wenn ich das Ding aus dem Fenster werfen würde, Jane?«
»O Alan! Das darfst du nicht!«
»Was willst du mit dem ganzen Krempel? Du hast doch Geschmack; warum benutzt du ihn dann nicht? Was für ein Sammelsurium!«
»Ich weiß, Alan. Es ist ja nicht so, als ob ich das nicht wüsste. Aber ich bekomme die Sachen geschenkt. Diese Vase, die hat mir Miss Bates aus Margate mitgebracht, und sie ist doch so arm und schlägt sich so mühsam durch, und sie hat bestimmt sehr viel dafür bezahlt – für ihre Verhältnisse, meine ich –, und sie wollte mir damit eine Freude machen. Da musste ich ihr doch einen Ehrenplatz geben!«
Everard sagte nichts. Er fuhr fort, sich im Zimmer umzusehen. An den Wänden hingen zwei oder drei Radierungen – aber auch mehrere Fotos von Säuglingen. Säuglinge lassen sich, was immer ihre Mütter auch glauben mögen, nicht unbedingt gut fotografieren. Sämtliche Freunde von Jane, die Babys bekamen, beeilten sich, ihr Fotos von ihnen zu schicken, und erwarteten, dass diese Gaben gewürdigt wurden. Jane hatte sie gebührend gewürdigt.
»Wer ist denn dieser grässliche kleine Kerl?«, fragte Everard, während er argwöhnisch einen pummeligen Neuzugang betrachtete. »Den habe ich noch nie gesehen.«
»Das ist eine Sie«, sagte Jane. »Mary Carringtons Jüngstes.«
»Arme Mary Carrington«, sagte Everard. »Du wirst doch nicht behaupten
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