Solange es hell ist
wollen, dass es dir Spaß macht, den ganzen Tag von diesem Scheusal angestiert zu werden?«
Janes Kinn schoss nach vorn.
»Sie ist ein entzückendes Baby. Und Mary ist eine liebe alte Freundin von mir.«
»Die treue Jane«, sagte Everard und lächelte sie an. »Isobel hat dir also Winnie aufgehalst, stimmt’s?«
»Nun ja, sie sagte, dass ihr nach Schottland fahren wollt, und da habe ich natürlich zugegriffen. Du lässt mich Winnie doch haben, nicht? Ich wollte schon ewig fragen, ob ihr sie mal zu mir kommen lasst, aber ich habe mich nie getraut.«
»Oh, du kannst sie gerne haben – aber es ist trotzdem furchtbar nett von dir.«
»Dann wäre ja alles geklärt«, sagte Jane zufrieden.
Everard zündete sich eine Zigarette an.
»Schon das neue Porträt gesehen?«, fragte er ziemlich undeutlich.
»Isobel hat es mir gezeigt.«
»Wie findest du es?«
Janes Antwort kam prompt – zu prompt. »Es ist einfach großartig. Absolut großartig.«
Alan sprang auf. Die Hand, die die Zigarette hielt, zitterte.
»Verdammt nochmal, Jane, lüg mich nicht an!«
»Aber Alan, ganz bestimmt, es ist absolut großartig.«
»Hast du noch immer nicht begriffen, Jane, dass ich jeden Tonfall deiner Stimme genau kenne? Vermutlich lügst du das Blaue vom Himmel herunter, nur um meine Gefühle nicht zu verletzen. Warum kannst du nicht ehrlich deine Meinung sagen? Glaubst du etwa, dass du mir sagen musst, dass etwas großartig ist, wenn ich ebenso gut weiß wie du, dass es das nicht ist? Das verdammte Ding ist tot – tot! Es hat kein Leben – nichts dahinter, nichts weiter als Oberfläche, verdammt glatte Oberfläche. Ich habe mir die ganze Zeit etwas vorgemacht – ja, sogar heute Nachmittag. Ich bin zu dir gekommen, um mir Klarheit zu verschaffen. Isobel weiß es nicht. Aber du weißt es, du weißt es immer. Ich wusste, dass du mir sagen würdest, es sei gut – in dieser Hinsicht hast du keine moralischen Skrupel. Aber deine Stimme verrät alles. Als ich dir Roma n tik zeigte, hast du zunächst kein Wort gesagt – du hast den Atem angehalten und irgendwie aufgestöhnt.«
»Alan – «
Everard gab ihr keine Gelegenheit, auszureden. Jane hatte wieder diese Wirkung auf ihn, die er so gut kannte. Seltsam, dass eine so sanftmütige Person ihn derart zur Weißglut bringen konnte.
»Du glaubst vielleicht, ich hätte mein Talent verloren«, sagte er zornig, »aber das habe ich nicht. Ich kann noch genauso gute Sachen malen wie Romantik – vielleicht sogar bessere. Ich werde es dir beweisen, Jane Haworth.«
Er stürmte geradezu aus der Wohnung. Mit schnellen Schritten eilte er durch den Park und über die Albert Bridge. Er bebte am ganzen Leib vor Verärgerung und undefinierbarem Zorn. Ausgerechnet Jane! Was verstand sie denn schon von Malerei? Was war ihre Meinung denn schon wert? Warum sollte er sich etwas daraus machen? Aber er machte sich etwas daraus. Er wollte etwas malen, das Jane den Atem verschlug. Ihr Mund würde sich leicht öffnen, und ihre Wangen würden sich dunkelrot färben. Sie würde erst das Bild ansehen und dann ihn. Wahrscheinlich würde sie gar nichts sagen.
Mitten auf der Brücke sah er das Bild vor sich, das er malen wollte. Es war plötzlich da, wie aus heiterem Himmel. Er sah es vor sich, in der Luft, oder war es in seinem Kopf?
Ein kleiner, schäbiger Raritätenladen, ziemlich dunkel und muffig. Hinter dem Tresen ein Jude – ein geduckter Jude mit listigen Augen. Vor ihm der Kunde, ein kräftiger Mann, gepflegt, gut genährt, wohlhabend, aufgeblasen, mit mächtigen Hängebacken. Über den beiden, auf einem Regal, eine Büste aus weißem Marmor. Das Licht fällt darauf, auf das marmorne Gesicht eines Jünglings, die unvergängliche Schönheit des antiken Griechenlands, verächtlich, erhaben über Handeln und Schachern. Der Jude, der reiche Sammler, der Kopf des griechischen Jünglings. Er sah alles vor sich.
»Der Connaisseur, so werde ich es nennen«, murmelte Alan Everard, im Begriff, die Straße zu überqueren, sodass er beinahe von einem vorbeikommenden Bus überfahren worden wäre. »Ja, Der Connaisseur. Ich werde es Jane beweisen.«
Zuhause angekommen, ging er direkt in sein Atelier. Isobel traf ihn dort beim Aussuchen der passenden Leinwand an.
»Alan, vergiss nicht, dass wir heute Abend bei den Marches speisen.«
Everard schüttelte ungeduldig den Kopf.
»Zum Teufel mit den Marches. Ich werde arbeiten. Ich habe eine Idee, aber ich muss sie festhalten – sofort auf der Leinwand festhalten,
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