Solange es hell ist
Leinwand zu bannen, die einem nicht aus dem Sinn ging.
»Und Isobel hat eine ausgesprochen starke Persönlichkeit«, fuhr Mrs Lemprière fort.
»Vielleicht kann Everard keine Frauen malen«, sagte ich.
»Vielleicht«, sagte Mrs Lemprière sinnend. »Ja, das könnte eine Erklärung sein.«
Und genau da zog sie, mit dem ihr eigenen untrüglichen Instinkt, ein Bild heraus, das mit der Vorderseite zur Wand stand. Es war eines von etwa acht Bildern, die nachlässig übereinandergestapelt waren. Es war purer Zufall, dass Mrs Lemprière gerade dieses auswählte – aber wie ich bereits sagte, solche Dinge passieren Mrs Lemprière ständig.
»Ah!«, sagte Mrs Lemprière, als sie es zum Licht drehte.
Es war unvollendet, nicht mehr als eine grobe Skizze. Die junge Frau – meiner Meinung nach nicht älter als fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig – war nach vorn gebeugt, hatte das Kinn in die Hand gestützt. Zwei Dinge fielen mir sofort auf: die außerordentliche Vitalität des Bildes und seine verblüffende Unbarmherzigkeit. Everard hatte mit rachsüchtigem Pinsel gemalt. Selbst die Körperhaltung war unbarmherzig – sie brachte jede Unbeholfenheit zum Vorschein, jede scharfe Kante, jede Derbheit. Es war eine Studie in Braun: braunes Kleid, brauner Hintergrund, braune Augen – sehnsüchtige, eifrige Augen. Eifer war in der Tat die vorherrschende Note.
Mrs Lemprière betrachtete es eine Zeitlang schweigend. Dann rief sie Everard zu:
»Alan? Kommen Sie doch mal. Wer ist das?«
Everard kam gehorsam zu uns herüber. Ich sah die jähe Verärgerung in seinem Gesicht, die er nicht ganz verhehlen konnte.
»Das ist nur ein Versuch«, sagte er. »Ich glaube nicht, dass ich es zu Ende malen werde.«
»Wer ist die Frau?«, fragte Mrs Lemprière.
Everard widerstrebte es offensichtlich zu antworten, und dieses Widerstreben war Wasser auf Mrs Lemprières Mühlen, die aus Prinzip immer das Schlimmste annimmt.
»Eine Freundin von mir. Eine Miss Jane Haworth.«
»Ich bin ihr hier noch nie begegnet«, sagte Mrs Lemprière.
»Sie kommt nie zu derartigen Präsentationen.« Er hielt kurz inne und fügte dann hinzu: »Sie ist Winnies Patentante.«
Winnie war seine fünfjährige Tochter.
»Tatsächlich?«, sagte Mrs Lemprière. »Wo lebt sie?«
»In Battersea. In einer Wohnung.«
»Tatsächlich«, sagte Mrs Lemprière erneut und fügte dann hinzu: »Und was hat sie Ihnen zu Leide getan?«
»Mir?«
»Ja, Ihnen. Dass Sie so – so brutal zu ihr sind.«
»Ach das!«, sagte er lachend. »Nun ja, sie ist nun einmal keine Schönheit. Und ich kann sie ja kaum aus Freundschaft zu einer machen, oder?«
»Sie haben das Gegenteil getan«, sagte Mrs Lemprière. »Sie haben jede einzelne Unvollkommenheit von ihr eingefangen und diese verstärkt und verzerrt. Sie haben versucht, sie lächerlich zu machen – aber das ist Ihnen nicht gelungen, mein Lieber. Dieses Porträt, sofern Sie es vollenden, wird leben.«
Everard schien verstimmt zu sein.
»Es ist nicht schlecht«, sagte er leichthin, »für eine Studie, meine ich. Aber natürlich überhaupt nicht zu vergleichen mit dem Porträt von Isobel. Das ist mit Abstand das Beste, was ich je gemacht habe.«
Er sagte es in einem herausfordernden und aggressiven Ton.
Keiner von uns gab eine Antwort.
»Mit Abstand das Beste«, sagte er noch einmal.
Einige der anderen waren zu uns getreten. Auch sie erhaschten einen Blick von der Skizze. Man hörte Ausrufe, Kommentare. Die Stimmung begann lebhafter zu werden.
So hörte ich zum ersten Mal von Jane Haworth. Später sollte ich ihr auch begegnen – zweimal. Von einer ihrer engsten Freundinnen sollte ich Näheres über ihr Leben hören. Viel sollte ich von Alan Everard selbst erfahren. Nun, da beide tot sind, halte ich es für an der Zeit, einige der Geschichten zu widerlegen, die Mrs Lemprière so eifrig in die Welt setzt. Nennen Sie meine Geschichte eine Erfindung, wenn Sie wollen – sie ist nicht weit von der Wahrheit entfernt.
Als die Gäste gegangen waren, drehte Alan Everard das Porträt von Jane Haworth wieder mit der Vorderseite zur Wand. Isobel kam durch das Zimmer und blieb neben ihm stehen.
»Ein Erfolg, meinst du nicht?«, fragte sie nachdenklich. »Oder – nicht ganz ein Erfolg?«
»Das Porträt?«, fragte er rasch.
»Nein, du Dummchen, die Teegesellschaft. Das Porträt ist selbstverständlich ein Erfolg.«
»Es ist das Beste, was ich je gemacht habe«, verkündete Everard in aggressivem Ton.
»Wir kommen voran«, sagte
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