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Solar

Solar

Titel: Solar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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Holzbrett unter einer dicken Schicht Salz. Es war nicht Dr. Parks' Stil, seinen Patienten wegen ihrer Lebensweise Vorwürfe zu machen. Und er hatte offene Ohren für Beards Projekt, denn er war vom Klimawandel leidenschaftlich überzeugt und hatte sich ein großes Grundstück auf Neufundland gekauft, wo er glaubte, binnen zehn Jahren Wein anbauen zu können. Wenn die Sommertemperaturen in Texas erst einmal regelmäßig fünfzig Grad erreichten, würde er seine Sachen packen und in den Norden ziehen. Hunderte, wenn nicht Tausende Amerikaner, erzählte er Beard, kauften bereits Land in Kanada auf.
    Während er die Eiswürfel aus seinem Drink fischte und alle bis auf einen in das alte Glas legte, starrte Beard den Fleck an seinem Handrücken an, als könnte er ihn dadurch zum Verschwinden bringen. Vor drei Jahren war da plötzlich etwas gewesen, und es hatte eine ganze Weile gedauert, bis er damit zum Arzt gegangen war. Der hatte einen gutartigen Hautkrebs diagnostiziert und erfolgreich mit flüssigem Stickstoff behandelt. Vor neun Monaten war der Fleck wiederaufgetaucht, aber irgendwie anders, und Beard fürchtete, diesmal werde er nicht so leicht davonkommen. Also unternahm er nichts und ließ das Ding wachsen, bis es sich dunkelbraun verfärbt und einen schwarzen Rand bekommen hatte. Normalerweise dachte er daran nur, wenn er gedrückter Stimmung war. Früher hatte er geglaubt, über solche Feigheit und Unvernunft erhaben zu sein. Inzwischen musste Dr. Parks den Biopsiebericht erhalten haben. Morgen könnte er ihn sich abholen, oder er wartete damit, bis er auf dem Rückweg wieder hier vorbeikam. Am liebsten würde Beard am nächsten Morgen seinen jährlichen Check-up machen und sich das Ergebnis nur mitteilen lassen, wenn es gut war. In Amerika ließ sich so etwas arrangieren.
    Er hatte Darlene versprochen, sie in Lordsburg anzurufen, aber ihm war jetzt nicht danach. Zwei Männer betraten ein Podium in einer Ecke der Bar und setzten sich vor ein Mikrophon. Der eine begann eine elektrische Gitarre zu stimmen, und das schrille Jaulen verzogener Saiten weckte eine Erinnerung. Ja, Gibson, so hatten die verheirateten Theologiestudenten geheißen, mit denen er und Maisie das Haus geteilt hatten, Charlie und Amanda, fromme Intellektuelle, die sich nicht um den Zeitgeist kümmerten und ein kirchliches Seminar in Lewes besuchten. Ihr Gott hatte ihnen aus unergründlicher Liebe oder dem Wunsch zu strafen heraus zwei Babys von gigantischer Größe zugeteilt, die Beard 47 den Preis mühelos weggeschnappt hätten, Zwillinge, die niemals schliefen und ihr markerschütterndes Kreischen nur selten einstellten, die einander ansteckten, falls sie einmal nicht gleichzeitig anfingen, und vereint einen Gestank in dem eleganten Haus verbreiteten, der so durchdringend war wie Curry in der Pfanne, ein Garnelen-Vindaloo, jedoch ekelhaft wie Faulschlamm, als würden sie aus religiösen Gründen ausschließlich mit Guano und Muscheln gefüttert.
    Im Schlafzimmer sitzend, die Ohren mit Löschpapier verstopft, die Fenster auch im tiefsten Winter offen: So legte der junge Beard den Grundstein seines Lebenswerks, so arbeitete er an jenen Berechnungen, die ihm später als lebenslänglicher Freifahrtschein dienen sollten. Wenn er nach unten ging, um sich Kaffee zu machen, hockten dort in der Küche die Eheleute in einem Winkel ihrer Privathölle, dunkle Ringe um die Augen, die Nerven blank von Schlafmangel und gegenseitigem Überdruss, und teilten ihre furchtbare Last, zu der auch Gebet und Meditation gehörten. Überall lagen die Metall- und Plastikgerätschaften moderner Kinderpflege herum und verschandelten die großen Flure und Zimmer des georgianischen Pfarrhauses. Weder die erwachsenen noch die neugeborenen Gibsons bekundeten jemals auch nur eine Spur von Freude an ihrem Dasein oder dem der anderen. Wie sollten sie auch? Beard schwor sich insgeheim, niemals Vater zu werden.
    Und Maisie? Sie gab den Gedanken an eine Dissertation über Aphra Behn auf, lehnte ein Jobangebot in der Universitätsbibliothek ab und stellte einen Antrag auf Sozialhilfe. In einem anderen Jahrhundert hätte man sie als Müßiggängerin bezeichnet, im zwanzigsten jedoch galt sie als »aktiv«. Sie befasste sich mit Soziologie, schloss sich einem Kollektiv kalifornischer Frauen an und gründete einen »Workshop«, damals noch etwas Neues, und wenn jetzt auch von Aufstieg im herkömmlichen Sinn keine Rede mehr sein konnte, so gelangte doch wenigstens ihr Bewusstsein auf

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