Solar
eine höhere Ebene, und binnen kurzem wütete sie gegen die himmelschreiende Ungerechtigkeit des Patriarchats und die Rolle ihres Mannes in einem Unterdrückungssystem, das von den Institutionen, die seine Macht als Mann aufrechterhielten - auch wenn er das niemals so sehen würde - bis in die kleinsten Nuancen seiner beiläufigsten Bemerkungen hineinreichte.
Es war, erklärte sie damals, als sei sie durch einen Spiegel gegangen. Alles sehe mit einem Mal anders aus, und daher sei ihr, und folglich auch ihm, naive Zufriedenheit nicht mehr möglich. Einzelne Punkte wurden nach ernsthafter Diskussion bereinigt. Er war viel zu vernünftig, als dass ihm gute Gründe eingefallen wären, warum er nicht im Haushalt mithelfen sollte. Vielleicht langweilte er sich dabei mehr als sie, aber das sagte er nicht. Der Abwasch war noch das wenigste. Es gab tief verwurzelte Einstellungen, die er zu prüfen und zu ändern hatte, seinen unbewussten Egozentrismus, seine Entfremdung von den eigenen Gefühlen, seine Unfähigkeit als Zuhörer, zu hören, wirklich zu hören, was sie sagte, und zu verstehen, wie das System, das ihn sowohl in alltäglichen als auch in wichtigen Dingen bevorzugte, für sie immer nur von Nachteil war. Ein Beispiel: Er könne in die Dorfkneipe gehen und in aller Ruhe ein Bier trinken; sie hingegen könne das nicht, sie werde von den Leuten angestarrt und müsse sich wie eine Hure vorkommen. Oder sein nie hinterfragter Glaube an die Wichtigkeit seiner Arbeit, an seine Objektivität und überhaupt an die Vernunft. Er kapiere einfach nicht, dass Selbsterkenntnis lebenswichtig sei. Es gebe auch andere Möglichkeiten, die Welt zu sehen, weibliche Sichtweisen, die er als belanglos abtue. Auch wenn er das abstreite, sei ihm ihr Menstruationsblut unangenehm, und damit beleidige er sie zutiefst in ihrer Weiblichkeit. Ihr Liebesakt, eine gedankenlose Inszenierung von Dominanz und Unterwerfung, sei nichts als eine nachgestellte Vergewaltigung und überhaupt eine einzige Katastrophe.
Monate vergingen, mit vielen abendlichen Sitzungen, bei denen Beard meist nur zuhörte und in den Verschnaufpausen über seine Arbeit nachdachte. Damals hatte er angefangen, Photonen aus einem radikal anderen Blickwinkel zu betrachten. Eines Nachts dann, als er und Maisie wie üblich von den Zwillingen geweckt wurden und nebeneinander im Dunkeln auf dem Rücken wach lagen, teilte sie ihm mit, dass sie ihn verlassen werde. Sie habe sich das genau überlegt und wolle nicht darüber debattieren. In den verregneten Hügeln von Mittel-Wales werde gerade eine Kommune gegründet, und diesen Leuten wolle sie sich anschließen; sie glaube nicht, dass sie jemals zurückkommen werde. Er könne das sowieso nicht verstehen, aber sie wisse, dass sie diesen Weg jetzt einschlagen müsse. Es gehe um Fragen ihrer Selbstverwirklichung, ihrer Vergangenheit und ihrer Identität als Frau, denen sie auf den Grund gehen müsse.
Das sei ihre Pflicht. An dieser Stelle wurde Beard von einem heftigen und ungewohnten Gefühl überwältigt, das ihm die Kehle zuschnürte, und seiner Brust entrang sich ein Schluchzen. Es war so laut, dass alle Gibsons es durch die Wand gehört haben mussten. Man hätte es leicht mit einem Schrei verwechseln können. Tatsächlich entsprang es einer Mischung aus Freude und Erleichterung, gefolgt von einem überschwenglichen Gefühl der Schwerelosigkeit, als werde er gleich vom Bett emporschweben und an die Decke stoßen. Plötzlich sah er alles vor sich. Er wäre frei und könnte wieder arbeiten, wann immer er wollte, Frauen nach Hause einladen, die er auf der Treppe vor der Bibliothek am Falmer-Campus hatte rumhängen sehen, und zu seinem nicht hinterfragten Ich zurückkehren. Er wäre Maisie ohne eigenes Verschulden los. Vor Dankbarkeit lief ihm eine Träne über die Wange. Er konnte es kaum noch erwarten, dass sie verschwand. Er überlegte, ob er ihr anbieten sollte, sie jetzt gleich zum Bahnhof zu fahren, aber um drei Uhr nachts hielt kein Zug in Lewes, und gepackt hatte sie auch noch nicht. Als sie ihn schluchzen hörte, knipste sie die Nachttischlampe an, drehte sich um, sah ihm ins Gesicht und bemerkte die Feuchtigkeit um seine Augen. Und flüsterte fest entschlossen: »Ich lasse mich nicht erpressen, Michael, nein und nochmals nein. Ich werde mich nicht von dir emotional manipulieren lassen, bei dir zu bleiben.«
Ein Glück, dass die Bar so groß war. Die zwei Männer sangen wie aus einem Mund lauthals ein komisches Lied auf
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