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Solar

Solar

Titel: Solar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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Freiheit war er eins mit dem wolkenlosen, im Zenit bläulich schwarzen Himmel und der unverbauten Landschaft. Dies hier war die Krönung von acht Jahren Arbeit. Und die Fahrt nach Lordsburg verkörperte den Traum eines jeden Engländers von Amerika: freie Fahrt, so weit das Auge reichte, die riesige Weite, die Möglichkeiten. Auf den sandigen Anhöhen entlang der Strecke, vor allem nach Süden hin, standen Gebilde aus übereinandergestapelten Steinen, die in Form und Größe entfernt an menschliche Gestalten erinnerten. Als er diese urzeitlich wirkenden Formationen zum ersten Mal gesehen hatte, hatte er sie für Relikte der Azteken gehalten, vergleichbar mit Menhiren und Dolmen. Tatsächlich waren es Zeichen des Triumphs, errichtet von mexikanischen Einwanderern, die es über die Grenze geschafft hatten und hier auf dem Weg zu ihren ausgewanderten Angehörigen vorbeigekommen waren. Entlang der Straße standen in regelmäßigen Abständen Beobachtungsposten der Grenzschützer. Auf strategisch günstigen Hügeln postierten sie mit ihren Pickups und suchten mit Feldstechern die graugrünen Weiten dürren Weidelandes ab. Wer konnte den Einwanderern einen Vorwurf machen? Wer würde nicht gern in ein Land kommen, das es einem Ausländer ermöglichte, eine revolutionäre Technik der Energieerzeugung vorzustellen, ihm dabei auch noch großzügige Unterstützung vor Ort und Steuervergünstigungen zuteil werden ließ und zur Feier des Tages Militärkapellen und Flugzeuge der Luftwaffe aufbot? In Libyen oder Ägypten wäre das nicht so glatt gelaufen.
    Hammer riss ihn aus seinen beschaulichen Betrachtungen. »Hier meldet sich ein Anwalt aus Albuquerque, hat versucht dich zu erreichen. Schreibt, er vertritt einen Engländer namens Braby. Will mit dir reden, irgendwas wegen seinem Klienten.«
    »Der hat mir schon letzte Woche geschrieben«, sagte Beard. »Vergiss es. Ich schulde Braby nichts. Das ist der, der mich aus dem Institut in England rausbefördert hat. Ich hab dir die Geschichte erzählt.«
    Hammer richtete sich auf und lehnte den Kopf an die Kopfstütze. »Vom ewigen Starren auf diesen Bildschirm wird mir ganz schlecht.« Er sprach mit geschlossenen Augen. »Der Anwalt heißt Barnard, und er kommt morgen hergeflogen. Er will unbedingt mit dir reden. Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist? Gibt's da etwas, das ich wissen sollte?«
    »Leute wie Braby, die treten dir ins Gesicht und bitten dich anschließend um einen Gefallen. Vergiss ihn.«
    Hammer ließ die Augen zu und schwieg so lange, dass Beard schon dachte, er sei eingeschlafen, aber dann sagte er: »Wenn einer seinen Anwalt auf eigene Kosten auf eine so weite Reise schickt, ohne vorher einen Termin zu vereinbaren, musst du mit dem Schlimmsten rechnen.«
    Beard ging nicht darauf ein. Wozu sich rechtfertigen? Er hatte Braby seit Jahren ignoriert. Sollte der Kerl doch den Mut aufbringen und selbst zum Telefon greifen. Was der wollte, war nicht schwer zu erraten. Eine Empfehlung beim National Renewable Energy Laboratory in Golden, Zugang zu Risikokapital für das Institut oder vielleicht Insidertipps zu Sonnenenergie oder Steuervergünstigungen. Kein Grund zur Sorge.
    Sie kamen durch Columbus, und während die Cedar Mountains sich ins Blickfeld schoben, kauten sie wieder einmal ihr Projekt mit den Eisenspänen durch. Alles stand bereit, die Investoren, der Kapitän, das Schiff, eine Kaufoption auf die Späne. Fehlte nur noch das Emissionshandelssystem.
    »Obama arbeitet für uns daran«, sagte Hammer. »Wir können uns um andere Sachen kümmern, im Fall der Fälle sind wir bereit.«
    Das Display am Armaturenbrett zeigte eine Außentemperatur von einhundertzwölf Grad Fahrenheit an, mehr als die beiden je erlebt hatten. Beard fuhr auf den Seitenstreifen und hielt an, sie wollten die volle Wucht der Hitze einmal live erleben. Vielleicht war es ein Fehler, ohne Hut aus dem tiefgekühlten Wageninnern in diese brutale Hitze zu treten, vielleicht war es auch die plötzliche Belastung nach neunzig Minuten hinterm Steuer. Kaum war er ausgestiegen und wollte seinem Freund irgendetwas Banales zurufen, wurde ihm schwindlig, sein Bewusstsein drohte sich zu verabschieden, seine Knie gaben nach. Hätte er sich nicht am Griff der Wagentür festgehalten, wäre er zu Boden gestürzt. So schwankte und taumelte er nur, hielt sich aber auf den Beinen, während er mit der Schulter hart gegen den Wagen schlug. Mit rasendem Puls zerrte er die hintere Tür auf und tastete nach seinem Hut.

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