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Solar

Solar

Titel: Solar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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Optimaler Angriffswinkel für Wind aus jeder beliebigen Richtung. Turbulenzproblem gelöst! Verstehen Sie mich nicht falsch, Professor Beard, aber das ist genial. Nur, wenn das Institut darauf einsteigt, verschwenden wir drei Jahre Entwicklungsarbeit darauf, während ein kommerzielles Unternehmen wirtschaftlich damit arbeiten könnte. Außerdem ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein, Mikrowind kann das eigentliche Problem nicht lösen. Der Wind bläst in den meisten Städten nicht kräftig genug. Wir brauchen eine neue Energiequelle für die gesamte Zivilisation. Viel Zeit bleibt uns nicht. Wir sollten mit der Sonnenenergie weiterkommen, bevor die Deutschen und Japaner uns die Sache aus der Hand reißen, bevor die Amerikaner endlich aufwachen. Ich hab da einige Ideen. Selbst bei unserem beschissenen Klima haben wir immer noch die Infrarot-Strahlung. Doch was sage ich das ausgerechnet Ihnen? Wir müssen uns noch einmal von Grund auf mit der Photosynthese beschäftigen, vielleicht finden wir was Neues. Auch dazu habe ich ein paar großartige Ideen. Ich stelle Ihnen das mal zusammen. O Gott, stattdessen rennt Mr Braby mit meinem blöden Gekritzel zu den Konstruktionszeichnern!«
    Er schloss die Augen und presste eine Hand an die Stirn - die dramatische Darstellung eines Mannes, der unverdientes Leid stoisch erträgt.
    »Ich bin ein einfacher Mensch, Professor Beard. Ich will nur tun, was gut für den Planeten ist.«
    »Verstehe«, sagte Beard, der dem letzten Keks in seiner Hand plötzlich nicht mehr gewachsen war. Er legte ihn auf den Teller zurück und erhob sich mit einiger Anstrengung aus seinem Sessel. »Ich muss jetzt los. Sie können mich zum Bahnhof fahren.«
    »Zwecklos«, sagte Aldous, hechtete mit drei Schritten zum Fernseher, sprang zwischen den Programmen herum, wartete geduldig eine Nachricht ab und drehte schließlich die Lautstärke auf. Und schon wurde die für seine Zwecke passende Geschichte serviert: Ein älteres Ehepaar, verarmt und verzweifelt, hatte sich Hand in Hand vor den Zug von London nach Oxford geworfen. Die Lokalreportage zeigte nichts Blutrünstiges, nur Scharen frustrierter Passagiere, die am Bahnhof von Reading abgewiesen wurden, und andere, die auf Ersatzbusse warteten, die nicht kamen.
    Der junge Mann brachte Beard zur Tür wie ein Pfleger, der einen Geisteskranken ins Bad begleitet. »Ich wohne in der Nähe von Belsize Park, und ich mache mich jetzt auf den Heimweg. Kann zwar nicht mit einem Prius dienen, Sie aber gern vor Ihrer Haustür absetzen.«
    Woher wusste Aldous, wo er wohnte? Es hatte keinen Sinn, ihn danach zu fragen. Und da Beard nur noch nach Hause wollte, zurück in den Stammsitz seines Elends, lag ihm nichts daran, Aldous jetzt noch zu Jock Braby zu schicken.
    Minuten später saß der Chef in einem rostigen Ford Escort und heuchelte Interesse an den Insiderinformationen über das, was der Weltklimarat in seinem für das kommende Jahr angekündigten Bericht mitteilen werde. Diesmal musste Aldous den Blick um volle neunzig Grad von der Straße abwenden, um seinen Beifahrer ins Gespräch einzubinden, manchmal mehrere Sekunden lang - Sekunden, in denen sie nach Beards Berechnung Hunderte von Metern zurücklegten. Sie brauchen mich nicht anzusehen, wenn Sie mit mir reden, wollte er sagen, während er den Verkehr vor ihnen beobachtete und abzuschätzen versuchte, ob und wann er ins Steuer greifen musste. Aber selbst Beard fiel es schwer, einen Mann zu kritisieren, der ihn nach Hause fuhr, also sozusagen seinen Gastgeber. Lieber tot oder bis ans Lebensende ein mürrischer Querschnittsgelähmter als unhöflich sein.
    Als Aldous mit seinen Prophezeiungen über den Inhalt des dritten iPCC -Klimaberichts fertig war, erklärte er Beard - und war damit der Fünfzigste in den vergangenen zwölf Monaten -, die letzten zehn Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts seien die zehn, oder waren es neun?, wärmsten seit Menschengedenken gewesen. Dann sprach er von Klimasensitivität, von der Verdoppelung des co 2 -Gehalts gegenüber dem vorindustriellen Niveau und der damit verbundenen Erwärmung. Als sie die Londoner Innenstadt erreichten, war er beim Thema Strahlungsantrieb angelangt, anschließend kam die übliche Litanei über schrumpfende Gletscher, sich ausbreitende Wüsten, vernichtete Korallenriffs, unterbrochene Meeresströmungen, ansteigende Meeresspiegel, unwiderruflich dies und das und alles Mögliche, immer mehr, während Beard längst nicht mehr zuhörte, finster und

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