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Solar

Solar

Titel: Solar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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sei es wichtig, niemals den Glauben an die Möglichkeit einer tiefgreifenden inneren Veränderung zu verlieren. Selbstverständlich müsse ein Wissenschaftler wie Senor Beard danach trachten, diese Theorie zu entwickeln, diese Schönheit zu entdecken. Denn was bringe einem das Leben, wenn man nicht nach Vervollkommnung strebe?
    Wie hätte Beard ihm anvertrauen können, dass er seit Jahren keine ernsthafte Forschung mehr betrieben hatte, dass er nicht an eine tiefgreifende innere Veränderung glaubte? Höchstens an langsamen inneren und äußeren Verfall. Er lenkte das Gespräch auf das weniger verfängliche Thema Pinguin- versus Eisbärskulpturen, doch seine Stimmung verdüsterte sich zusehends. Die Wirkung der Schmerzmittel ließ nach, der Wein schmeckte plötzlich schal und sauer, die allgemeine Heiterkeit erinnerte ihn nur umso schmerzhafter an das Ende seiner Ehe. Er war müde, fühlte sich zu zynisch für diese Gesellschaft. Wenn er sich angeregt unterhalten hatte, dann aufgeputscht durch den Schock, die Medikamente und den Alkohol.
    Er beendete das Gespräch, sagte Jesus gute Nacht und zwängte sich, Entschuldigungen murmelnd, an den dichtgedrängten Reihen vorbei. Alle Gespräche drehten sich um Kunst und Klimawandel. Am Nebentisch beschrieb eine Choreographin - eine Frau, die ihm vorher noch gar nicht aufgefallen war, schlank, schön und überbordend vor gutem Willen - mit französischem Akzent einen geometrischen Tanz, den sie auf dem Eis aufzuführen gedachte. Er konnte das nicht ertragen, dieser Optimismus machte ihn fertig. Alle außer ihm grämten sich wegen der globalen Erwärmung und waren dennoch vergnügt, er allein war der Miesepeter. Er sehnte sich nach Dunkelheit und Ruhe.
    Lange Zeit lag er in der stickigen Kabine in seiner Koje, wachgehalten von dem Schmerz, der in seinen Lenden pochte; es war, als sitze ihm das Herz in den Hosen. Er hörte Stimmen und Lachen und fragte sich, ob sein Menschenhass die ganze Woche andauern würde. Die Idee mit dem Hubschrauber kam ihm jetzt absurd vor. Der Wechsel von seinem Leben im weit entfernten Belsize Park hierher in diese leblose Ödnis hatte ihn mit der Idiotie seines Daseins konfrontiert. Patrice, Tarpin, das Institut und all die anderen Scheinaktivitäten, denen er nachging, um seine Bedeutungslosigkeit zu kaschieren. Was brachte einem das Leben, wenn man nicht nach Vervollkommnung strebte? Eben dies: eine weitere wenig denkwürdige, schlaflose Nacht.
    Als zwei Stunden später - er war kurz vor dem Einschlafen - nebenan die Gitarre gestimmt wurde, stöhnte er auf und wälzte sich wütend auf die Seite. Dann aber drang kein Schrammeln und Chorgesang durch die Holzwand, sondern eine zarte, leise Melodie, die spanisch anmutete, besinnlich, leicht und doch präzise, fast wie ein Stück von Mozart. Am Morgen sollte er erfahren, dass es eine Etüde von Fernando Sor gewesen war. Er lag im Stockdunkeln auf seinem schmalen Bett und zweifelte keine Sekunde, dass es Jesus war, der da spielte, vielleicht nur für ihn, und zu den Klängen dieser melancholischen Weise schlief er endlich ein.

    Am späten Vormittag hatte die Sonne sich tapfer ein wenig über den Horizont gekämpft und schien auf den gleißenden Fjord, während Beard auf der Suche nach seinen Sachen ächzend in der finsteren Stiefelkammer herumtappte. Er stand vor Haken Nummer achtzehn, an den er tags zuvor, das wusste er ganz genau, seinen Kälteschutzanzug gehängt hatte. Unmittelbar unter dem Haken war ein Drahtkorb, in den er seine Schutzbrille, den Helm und andere Kleinteile gelegt hatte, und unter der Sitzbank befand sich das Fach, in das er seine Stiefel gestellt hatte. Selbst hier in diesem Loch direkt unter dem Steuerhaus war das Dröhnen der Motorschlitten zu hören - offenbar Schwerstarbeit, sie morgens flottzumachen. Heute sollte Jan eine Sechsergruppe über den Fjord begleiten, damit sie den Gletscher erkunden konnten. Fünf Leute und der mit einem Gewehr bewaffnete Führer waren bereits draußen auf dem Eis, stampften mit den Füßen und klopften sich mit den Armen warm - Beard war wie immer der Letzte. Jemand hatte seine Ausrüstung genommen, zumindest Teile davon. Sein Anzug hing nicht am Haken, seinen Drahtkorb hatte jemand unter Haken neunzehn geschoben, nur seine Stiefel - falls es seine waren - standen am richtigen Ort. Seine kaputte Schutzbrille lag auf dem Boden, die wollte keiner.
    Er nahm einen Anzug - wahrscheinlich war es sowieso seiner - von Haken siebzehn. Wie sich

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