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Solarstation

Titel: Solarstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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in Cambridge, oder?« fragte Moriyama.
    »Hervorragend«, erwiderte Jay trocken. »Zweimal haben mir irgendwelche Nazis die Wohnung zertrümmert und die unglaublichsten Parolen an die Wände geschmiert.«
    »Ich dachte immer, Sie seien des Geldes wegen nach Japan gekommen«, neckte ihn Yoshiko.
    »Damit hätte ich mich als Mathematiker disqualifiziert«, grinste Jay. »Ich verdiene jetzt zwar fünfmal so viel, aber dafür kostet in Japan alles das Zehnfache.«
    Ich sah wieder die Weltkarte an und nahm noch einen tiefen Schluck. Wahrscheinlich war diese Karte so beliebt geworden, weil sie die Verhältnisse des einundzwanzigsten Jahrhunderts so treffend wiedergab. Die Gewichte hatten sich drastisch verschoben, verglichen mit der Welt, die ich als Kind gekannt hatte. Der Pazifik war der wichtigste Wirtschaftsraum. Japan, die mit Abstand führende Industrienation, lag auf dieser Karte dort, wo es hingehörte – in der Mitte. Neben Korea, dem Konkurrenten. Und China, das rein durch seine Masse ein Wirtschaftsgigant war und sich gerade anschickte, mit einer dickköpfigen, uneinsichtigen Automobilisierungskampagne der Ozonschicht der Nordhalbkugel den endgültigen Todesstoß zu versetzen. Australien. Und auf der anderen Seite des Pazifik gab es die Küstenländer Südamerikas, immer noch rückständig, und in den Vereinigten Staaten Los Angeles, das sich nur mühsam von den Folgen der beiden großen Erdbebenkatastrophen erholte, und Seattle. Der Rest von Gottes eigenem Land war in den Händen von religiösen Eiferern und von Fanatikern, die sich für radikale Umweltschützer hielten, aber hauptsächlich damit beschäftigt waren, das Land endgültig auf den Stand eines Entwicklungslandes herunterzuwirtschaften. Inzwischen konnte ein Drittel der Amerikaner nicht mehr als ihren eigenen Namen schreiben, und es war wieder verboten, die Evolutionslehre nach Darwin an den Schulen zu unterrichten.
    Europa, vor dessen vereinigter Wirtschaftsmacht man einmal kurze Zeit Angst gehabt hatte, war, anstatt sich zu vereinigen, in unzählige winzige Staaten zerfallen und beschäftigte sich hauptsächlich mit sich selbst. Nachdem die Leute gemerkt hatten, daß ein eigener Staat allein auch nicht glücklich macht, gab es viele unerklärte Kleinkriege und Scharmützel, und alles in allem bot Europa der Welt das Bild eines Altersheims voller seniler, streitsüchtiger Greise. Wenn man auf den Straßen von Tokio, Seoul oder Melbourne jemanden nach seiner Meinung über Europa befragte, bekam man eine Antwort, die auch auf die Azteken oder die Babylonier gepaßt hätte: großartige Kultur – warum sie wohl untergegangen ist?
    Die arabische Welt des Nahen Ostens und Nordafrikas dagegen war Schauplatz des wahnwitzigsten Religionskrieges, den die Geschichte kannte. Etwa um die Jahrtausendwende hatte sich eine fanatische islamische Sekte um einen selbsternannten Propheten gebildet, der den suggestiven Namen Abu Mohammed trug und dessen Glaubenslehren ein islamischer Religionswissenschaftler einmal so charakterisiert hatte: »Wer das für Islam hält, der hält die Hexenverbrennungen für den Kern des Christentums.« Offenbar hielten eine Menge Leute die Worte des Abu Mohammed für Islam, für den reinen Islam sogar. Die ›Dschijhadis‹, wie sie sich nannten, die ›Heiligen Krieger‹, hatten den Iran von innen heraus erobert, den Irak überrannt und schließlich in der gesamten Golfregion einen Krieg entfesselt, der nun schon seit Jahren tobte und unzähligen Anhängern des neuen Propheten die Gelegenheit bot, den heiligen Tod zu sterben und unmittelbar ins verheißene Paradies einzuziehen.
    Nun, und der Rest der Welt… Afrika starb an Aids. Und die Zustände in Rußland als Chaos zu bezeichnen, wäre eine Beleidigung für das Chaos gewesen.
    »Der europäische Satellit wird ungefähr unserer Bahn folgen, nur in 1790 Kilometern Höhe«, erläuterte Tanaka. »Das ist eine Zwei-Stunden-Umlaufbahn, auf der der Satellit jeden Tag jeden Punkt der Erde überfliegt.«
    »Wenn sie ihn hochkriegen«, meinte Iwabuchi herablassend.
    Yoshiko verschwand, um die erste Nachtwache auf der Brücke anzutreten. Ohne mir einen Blick zuzuwerfen. Ich sah mißmutig meinen Trinkbeutel an, der schon leer war, und beobachtete Sakai, der die letzten Tropfen aus seiner Flasche zwischen Iwabuchi und Moriyama verteilte. Ich gehörte nicht dazu. Sie duldeten mich, und mit den meisten von ihnen war gut auszukommen, aber ich gehörte nicht dazu. Wenn ich beschließen würde, den

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