Solarstation
hätte ich die Raumakademie verlassen müssen. Aber – ich habe sie bestanden.«
»Na, so ein Glück für uns«, meinte Moriyama doppelsinnig.
»Holt die Gläser!« rief Jay.
Bei den ›Gläsern‹ handelte es sich in Wirklichkeit um elastische kleine Beutel aus transparentem Plastik, die eine verschließbare Einfüllöffnung und ein kurzes Saugröhrchen hatten. Wenn man etwas trinken wollte, mußte man sich die Flüssigkeit in den Mund drücken, als lutsche man an einer Tube Zahnpasta.
Auch den Wein aus der Flasche herauszubekommen war eine einigermaßen umständliche Prozedur, die an Bord äußerst selten vorkam, da praktisch kein Getränk in Flaschen herauftransportiert wurde – abgesehen eben von Mitbringseln im privaten Gepäck der Crewmitglieder. Aber auch dieses Problem war schon vorgekommen und gelöst worden. Aus den Tiefen der Küchenschränke förderte ich ein Gerät zutage, das aussah wie eine Kreuzung zwischen einem Sahnesiphon und einer Beatmungsmaschine und das ich, nachdem Sakai die Weinflasche entkorkt hatte – und der Wein, wie nicht anders zu erwarten, keinerlei Anstalten machte, die Flasche zu verlassen –, anstelle des Korkens in den Flaschenhals einführte. Das Prinzip war ganz einfach: am unteren Ende einer dünnen Röhre, die tief in die Flasche hineinragte, befand sich ein leerer Gummiballon. Wenn man einen Druckhebel betätigte, wurde dieser Ballon mit Luft aufgeblasen; dadurch drückte er die Flüssigkeit in der Flasche zum Flaschenhals hinaus, und dort floß sie folgsam aus einer entsprechenden Spritzöffnung
»Ich habe die erste Wache heute nacht«, wehrte Yoshiko ab. »Ich trinke besser nichts.«
»Ich habe heute nacht die zweite Wache«, sagte Jay. »Also trinke ich besser – als erster!«
Moriyama sah dem Treiben mit geduldigem Lächeln zu.
Natürlich erlaubten die Vorschriften der Raumfahrtbehörde keinen Alkoholgenuß an Bord der Raumstation. Und natürlich konnte man unmöglich immer alle Vorschriften einhalten. Er lehnte nicht ab, als Sakai ihm einen gefüllten Trinkbeutel reichte.
Die Stimmung und der Geräuschpegel der Gespräche stieg schon nach wenigen Schlucken. Ich hatte mich auf meinen Stuhl zurückgezogen und festgeschnallt und hörte hauptsächlich zu, während ich an dem vorzüglichen Wein nippte.
Mein Blick wanderte wieder einmal über die große Weltkarte, die eine Wand des Gemeinschaftsraums einnahm. Es war eine dieser neumodischen Weltkarten in pazifischer Darstellung, das heißt, die Kontinente waren nicht wie auf den früher üblichen Karten rings um den Atlantik angeordnet, sondern rings um den Pazifik; Nord- und Südamerika also auf der rechten Kartenseite, Asien mit Afrika und Europa auf der linken Seite.
Ursprünglich, hatte ich einmal gelesen, hatte es sich bei dieser Art Weltkarte nur um einen Werbegag des Fremdenverkehrsamtes von Honolulu gehandelt: eine Weltkarte, auf der Hawaii genau in der Mitte lag. Aber dann hatte ein Verleger in Sydney – nachdem Sydney die Olympischen Spiele im Jahr 2000 ausgerichtet hatte, hatte es sich zu einer Art kulturellen und wirtschaftlichen Zentrum der nichtasiatischen Welt am Pazifik entwickelt – die Idee aufgegriffen und ernst damit gemacht. Er ließ exakte Karten anfertigen und gab Poster, Wandkarten und ganze Atlanten heraus, die auf der pazifischen Weltkarte basierten, und seither erfreute sich diese Art der Darstellung der Welt zunehmender Beliebtheit.
»Ihre europäischen Landsleute«, meinte Tanaka über den Tisch an Jayakar gerichtet, »haben wieder einmal Großes vor, wie man hört.«
»Meine europäischen Landsleute?« fragte Jay verwundert zurück.
Tanaka hob die Augenbrauen. »Sie sind doch Brite, oder?«
»Ach ja«, nickte Jay. »Auch. Was haben sie denn vor?«
»Heute nacht soll eine ARIANE-Rakete starten und einen Erdbeobachtungssatelliten in eine hohe Polarbahn bringen«, berichtete Tanaka. »Die Meldung kam heute nachmittag, kurz nach Beginn meiner Brückenwache.«
»Einen Erdbeobachtungssatelliten?« wunderte sich Iwabuchi.
»Ja, und einen ziemlich teuren. Sein Name ist TRANSGEO-1. In der Meldung stand auch, wieviel Millionen Franc oder DM oder Dollar er gekostet hat, aber ich habe es mir nicht gemerkt. Ich fand es nur erstaunlich, daß Europa sich noch so sehr für den Rest der Welt interessiert…«
Jay hob abwehrend die Arme. »Machen Sie mich nicht für alles verantwortlich, was die Europäer machen. Ich bin außerdem zur Hälfte Inder.«
»Aber Sie haben doch ganz gut gelebt
Weitere Kostenlose Bücher