Solarstation
nickte bedrückt. »Ja.«
»Und Sie haben ihn nicht gesehen?«
»Es war ziemlich dunkel…« Jay hob die Hände in einer hilflosen Geste. »Ich habe nicht sehr genau hingeschaut. Ich habe nur die Tür einen Spalt weit geöffnet, sah den leeren Schlafsack und machte sie wieder zu…«
»Aber der Schlafsack war nicht leer. Nach dem, was Oba sagt, muß Iwabuchi zu diesem Zeitpunkt schon tot gewesen sein.«
»Ich habe ihn nicht gesehen, tut mir leid«, begehrte Jay auf. »Die Möglichkeit, daß er tot sein könnte, ist mir nicht in den Sinn gekommen.«
» Sumimasen, Kommandant«, mischte ich mich ein, »ich denke, Mister Jayakar hat den Leichnam tatsächlich nicht gesehen. Ich habe ihn, als ich die Tür öffnete, im ersten Augenblick auch nicht gesehen.«
»Aber wie kann das sein? Ein toter Mann, und noch dazu ein so großer wie Iwabuchi…«
»Die Wucht der Geschosse hat ihn sich zusammenkrümmen lassen, so daß sein Kopf ins Innere des Schlafsacks rutschte. Durch die Einschußlöcher entwich außerdem die Luft aus den aufblasbaren Kammern des Schlafsacks. Im Halbdunkel und auf einen flüchtigen, arglosen Blick hin wirkte die Kabine deshalb leer und verlassen.«
»Sie aber haben ihn gesehen, Mister Carr«, stellte Tanaka mißtrauisch fest.
»Mein Blick war nicht arglos.«
Tanaka hob überrascht die Augenbrauen. Er schien sich zu überlegen, was er daraufhin sagen sollte, zog es dann aber vor zu schweigen.
»Die Schüsse«, überlegte Jay und sah die übrigen Bewohner dieses Wohntraktes an, Moriyama, Tanaka, Sakai und Oba. »Hat keiner von Ihnen die Schüsse gehört?«
Alle vier verneinten. »Nein«, sagte auch Moriyama düster, »und ich frage mich, ob das mit rechten Dingen zugeht. Hätten wir die Schüsse nicht hören müssen? Drei Schüsse! Und ich habe unmittelbar daneben geschlafen – kann das sein?«
»Ich denke schon«, meinte ich. »Der Mörder hat mit Sicherheit einen Revolver mit Schalldämpfer benutzt, und er hat den Lauf der Waffe direkt auf den Schlafsack aufgesetzt, der zu diesem Zeitpunkt ja noch aufgeblasen war und das Schußgeräusch so zusätzlich dämpfte. Ich bin überzeugt, daß die Schüsse in den umliegenden Kabinen nicht lauter waren als das Geräusch eines zuschnappenden Schrankfachs.«
Ein Augenblick qualvollen Schweigens trat ein. Niemand schien es zu wagen, tiefer als nötig einzuatmen. Angst war spürbar wie eine elektrische Ladung – Angst und blankes Entsetzen.
»Der Mörder…«, wiederholte Jay schließlich langsam und ahnungsvoll. »Ich muß sagen, daß ich selten mein britisches Erbe so gespürt habe wie im Moment. Unsere Situation könnte aus einem Roman von Agatha Christie stammen – ein Mord ist geschehen, und man weiß genau, einer der Anwesenden muß ihn verübt haben. Aber wer?«
Ich sah, wie Oba erschrocken die Hand vor ihren Mund schlug, als sei ihr dieser Gedanke bis jetzt noch gar nicht gekommen.
»Richtig«, nickte Moriyama düster und sah uns der Reihe nach an, als könne er den Täter auf diese Weise entlarven. »Wie immer man dazu stehen mag, heute nacht ist Geschichte geschrieben worden. Der erste Mord im Weltraum wurde verübt. Ein Mensch wurde vorsätzlich und heimtückisch getötet, und der einzige, von dem ich mit Sicherheit weiß, daß er es nicht getan hat, bin ich selber.«
Iwabuchis tote, reglose Augen starrten anklagend auf den Gang heraus. Moriyama betrachtete den ermordeten Ingenieur mit grimmigem Gesichtsausdruck und schloß dann die Tür zu seiner Kabine.
»Wir werden«, fuhr er fort, »jetzt alle zusammen hinüber auf die Brücke gehen und die Bodenstation um Instruktionen bitten. Und bis auf weiteres betritt niemand diesen Wohntrakt.«
Das war ein klarer Befehl, und niemand wäre auf die Idee gekommen, Einwände dagegen zu erheben. Es war das einzig Sinnvolle, was in dieser Situation getan werden konnte. Die Bodenstation verwahrte in einem großen Safe in ihrem Keller eine ganze Reihe schmaler Ordner mit wohlüberlegten, detaillierten Verhaltensmaßregeln für alle nur denkbaren Notfälle und Krisen. Das ist typisch japanisch, und man muß es erlebt haben, um es zu glauben, wie eine Gruppe von Japanern herumsitzt und endlos alle Möglichkeiten und Katastrophen erörtert mit einer Ausdauer, die einem Westler wie die reine Besessenheit vorkommt. Aber dafür haben sie danach alles vorbereitet und alles im Griff. Nach unserem Anruf würde jemand an diesen Safe gehen, den entsprechenden Ordner herausnehmen und uns mit fernöstlichem
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