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Solarstation

Titel: Solarstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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stürbe ich bereits, während ein roboterartiger Automatismus die Steuerung meines Körpers übernahm und mich immer weiter reden ließ. »Das alles muß geplant und von langer Hand vorbereitet gewesen sein. Ich dachte die ganze Zeit, daß Khalid auf den verspäteten Shuttle wartet und daß deshalb niemand erfahren sollte, daß sie an Bord sind. Aber in Wirklichkeit dürfte es Sabotage sein, die den Shuttle am Boden hält; ein Agent Khalids im Raumfahrtzentrum. In Wirklichkeit geht es darum, daß niemals irgend jemand erfahren darf, was sich abgespielt hat.«
    In Moriyamas Blick las ich väterliche Besorgnis, und sie war weiß Gott gerechtfertigt. »Übertreiben Sie jetzt nicht etwas, Leonard?«
    Wahrscheinlich wirkte ich nach außen ruhig und gefaßt, wie einer dieser Helden im Film, der die Lage völlig im Griff hat, aber kein Eindruck konnte so falsch sein wie dieser. In meiner Magengrube spürte ich ein Zittern, das mich fatal an die ersten Anzeichen jenes Nervenzusammenbruchs nach meiner Scheidung erinnerte, den ich aus meinem Gedächtnis hatte streichen wollen.
    »Übertreibe ich?« hörte ich mich sagen. Ich fing wirklich an, irre zu reden. »Glauben Sie, ich übertreibe? Was würden Sie denn tun, Kommandant, wenn Sie an der Stelle des großen Propheten wären? Bedenken Sie den Effekt – über Mekka wird die Sonne aufgehen, während der tödliche, aber unsichtbare Strahl aus dem Weltraum auf die Stadt niederbrennt. Khalid wird über einen verschlüsselten Funkspruch den Vollzug melden, und daraufhin werden die Truppen Abu Mohammeds einmarschieren und vorfinden, daß es Allah gefallen hat, alle Einwohner Mekkas zu töten und die heilige Stadt des Islam den Dschijhadis zu schenken. Voila – das Wunder des Propheten. Es wird nicht nur den Krieg um Mekka beenden, sondern auch dem Dschijhad-Islam endgültig zum Durchbruch verhelfen.«
    Moriyama sah mich mit einem Blick voller Schmerz an. Noch jemand, dem es weh tat, der Wahrheit ins Gesicht blicken zu müssen.
    »Ich suche verzweifelt nach einem Gegenargument, aber mir fällt keines ein«, bekannte er leise.
    »Es gibt keines. Das ist es, was Khalid vorhat. Und für ein Wunder ist es wichtig, daß niemand erfährt, wie es bewerkstelligt wurde. Deshalb werden wir alle sterben.«
    »Und Khalid?«
    Ich zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht. Vielleicht wird er den Shuttle entführen und einen Absturz über dem Ozean vortäuschen. Es ist nicht wichtig. Sicher hat er einen Plan, der auch funktionieren wird, wie alle seine Pläne bisher funktioniert haben. Sicher ist, daß er eine NIPPON zurücklassen wird, deren gesamte Besatzung auf rätselhafte Weise den Tod gefunden hat.«
    Tanaka war kreideweiß im Gesicht. »Das müssen wir verhindern!« rief er erregt. »Wir müssen etwas unternehmen!«
    »Was wollen Sie denn unternehmen?« fragte Jayakar abfällig, fast gelangweilt. »Wir sind hier gefangen, im perfektesten Gefängnis der Welt. Auch wenn wir Bescheid zu wissen glauben, haben wir nicht die geringsten Handlungsmöglichkeiten. Es ist tatsächlich der perfekte Plan.«
    »Nein.«
    In meiner Magengrube fing es an zu pochen und zu pulsieren, und wie ein Strom glühender Lava stieg eine Kraft in mir empor, von der ich nicht geglaubt hatte, sie noch zu besitzen. Es war Wut. Sengend-heiße, gnadenlose Wut, geradezu wohltuend in ihrer Urgewalt. »Es gibt perfekte Pläne, aber es gibt keine perfekte Ausführung. Auch Khalid hat Fehler gemacht.«
    »Tatsächlich?«
    »Tatsächlich.«
    Wie Blitzlichter zuckten Bilder vor meinem inneren Auge vorbei, Bilder von Momenten aus meinem Leben, in denen ich diese Wut verspürt hatte. Ich war einmal ein Sieger gewesen. Ich hatte einmal zu kämpfen verstanden. Für einen Augenblick war ich wieder auf dem Schulhof, und der Kinderschreck aus einer der höheren Klassen hatte mich so lange gequält, daß ich ihm voller Wut in die Eier trat und ihn für den Rest des Tages außer Gefecht setzte.
    Ich hangelte mich über die Kontursitze hinweg nach hinten und fing an, den Leichensack aus dem Netz dahinter hervorzuzerren. Die anderen beobachteten mich entgeistert, ohne sich von der Stelle zu rühren. Immerhin auch, ohne mich an meinem Tun zu hindern. Als ich den blauen Plastiksack mit dem Toten darin vollständig aus seiner Befestigung herausgezogen hatte, machte ich mich daran, ihn aufzuschnüren.
    »Er hätte den armen Professor nicht entführen sollen«, erklärte ich, wenngleich meine wirre Rede als Erklärung nicht viel taugen mochte.

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