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Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück

Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück

Titel: Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Sedlatzek-Müller
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geräumt. Da der Nachschub erfahrungsgemäß erst nach einigen Wochen ins Rollen kommt, hat man uns alles zusammenpacken lassen, um in der ersten Zeit möglichst autark zu sein. Es ist der erste Kriegseinsatz der Bundeswehr und wir werden als die ersten deutschen Bodentruppen in einem vom Krieg verwüsteten Gebiet ankommen.
    Medienberichten der letzten Wochen zufolge ist die Infrastruktur dort völlig zusammengebrochen. Bilder der Ströme von Flüchtlingen, die verzweifelt versuchen, die Auffanglager des UNHCR zu erreichen, sind allgegenwärtig, ebenso die Berichterstattung über die Bombardierung Jugoslawiens durch die NATO. Unser oberster Dienstherr, Verteidigungsminister Rudolf Scharping, macht seine Haltung vor dem Parlament und der Öffentlichkeit deutlich: »Wenn ich höre, dass im Norden von Pristina ein Konzentrationslager eingerichtet wird, wenn ich höre, dass man die Eltern und die Lehrer von Kindern zusammentreibt und die Lehrer vor den Augen der Kinder erschießt, wenn ich höre, dass man in Pristina die serbische Bevölkerung auffordert, ein großes S auf die Türen zu malen, damit sie bei den Säuberungen nicht betroffen sind, dann ist da etwas im Gange, wo kein zivilisierter Europäer mehr die Augen zumachen darf, außer er wolle in die Fratze der eigenen Geschichte schauen.« Außenminister Joschka Fischer bringt es mit seinem Appell an seine Partei auf den Punkt: »Wir haben immer gesagt: ›Nie wieder Krieg!‹ Aber wir haben auch immer gesagt: ›Nie wieder Auschwitz!‹«
    Wir wissen nicht, was uns erwartet, aber wir hoffen für alle Eventualitäten gerüstet zu sein, als wir abrücken. Außer der sogenannten persönlichen Ausrüstung, dem Seesack und der Tragetasche, worin unser gesamter Spindinhalt verstaut ist, haben wir unseren Rucksack am langen Arm dabei. Glücklicherweise bin ich inzwischen um einiges kräftiger als damals, als ich das ganze Zeug zum ersten Mal schleppen musste. Mehrere Kraftomnibusse der Bundeswehr, kurz KOM genannt, stehen auf dem Exerzierplatz für uns bereit. Gerade als wir losfahren wollen, bemerkt einer, dass seine Waffe weg ist. Wir müssen auf den Befehl unseres wütenden Kompaniechefs hin alle wieder aussteigen und vor dem Bus antreten. Dem unseligen Kameraden fällt ein, dass er die Waffe im Speisesaal hat liegen lassen. »Sie haben exakt drei Minuten, um sich bei mir zurückzumelden«, wird ihm zornig entgegengeschleudert. Während er mit hochrotem Kopf an uns vorbeirennt, kassiert er Ausrufe wie »Idiot!«, »Mann, bist du blöd!« und »«Dämlicher Arsch!« Die Nerven liegen bei vielen blank. Ich nehme mir vor, noch besser auf meine Waffe aufzupassen, damit ich nicht zur Zielscheibe für Spott und Scheißaufträge werde.
    Der amtierende Trottel der Kompanie erscheint zu seinem Glück wenige Sekunden vor Ablauf der gesetzten Frist und wir zwängen uns wieder in den Bus. Am Militärflughafen erwartet uns eine Transall C160. Ich bin gespannt, wie es ist, mit der Maschine nach dem Flug auch mal zu landen und nicht immer vorher rauszuspringen. Während des Flugs kreisen meine Gedanken. Ob ich wohl gezwungen sein werde, auf Menschen zu schießen? Die Taschenkarte mit den Rules of Engagement (RoE), also den Einsatzregeln, besagt, dass wir uns oder andere notfalls mit der Schusswaffe verteidigen dürfen. Das Massaker von Srebrenica vom Juli 1995hat deutlich gemacht, dass man sich und seine Schutzbefohlenen teilweise nur durch Waffengewalt vor Übergriffen oder gar Ermordung schützen kann. Doch das alles sind Gedanken, mit denen ich mich jetzt und hier nicht befassen will. Ich versuche mich abzulenken und frage den Bordmechaniker, der an mir vorbeigeht, ob ich aufstehen darf, um aus dem Fenster zu schauen. Er bejaht das und weist mich zu meiner Belustigung noch auf die Militärausgabe einer Flugzeugtoilette hin: ein schmaler grauer Vorhang, hinter dem sich eine Nische mit einem kleinen, auf Hüfthöhe angebrachten Becken befindet.
    Wir landen in Skopje, von wo aus die NATO den Personen- und Materialtransport in den benachbarten Kosovo koordiniert. In der Hauptstadt Mazedoniens herrschen Temperaturen von über 40Grad. Kaum trete ich aus der Maschine, läuft mir der Schweiß über das Gesicht. Als wir uns den Reisebussen, die von den örtlichen Reisegesellschaften angemietet wurden, nähern, traue ich meinen Augen kaum. Mit diesen völlig abgewrackten Touristenbussen sollen Soldaten in eine Krisenregion transportiert werden? Unsere Militärfahrzeuge werden im

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