Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
etliche der hiesigen Mädchen erliegen unserem an diesem Tag mit besonderer Intensität versprühten Charme. Am Samstag beginnt der Dienst gnädigerweise erst um 08:00 Uhr. Wir nutzen die guten Trainingsmöglichkeiten an der Infanterieschule in Hammelburg auch am Wochenende für eine intensive Vorbereitung auf den Einsatz im Kosovo. Dafür wird uns für den Abbau und die Verpackung der Ausrüstung verhältnismäßig wenig Zeit eingeräumt. Zurück in unserem Heimatstandort in Varel, geht es in aller Hast weiter. Wir haben durchgehend Dienst und bekommen kaum die Gelegenheit, während einer kurzen Dienstunterbrechung noch ein paar Kleinigkeiten wie Rasierzeug oder Zahnpasta einzukaufen.
Am darauf folgenden Wochenende bekommen wir von Freitag bis zum späten Sonntagabend die letzte Gelegenheit, unsere Angelegenheiten zu regeln. Bis zum Zapfenstreich um 22:00 Uhr muss sich jeder beim UvD zurückgemeldet haben. Wer sich verspätet, muss mit ernsten Konsequenzen, sogar mit einer Inhaftierung rechnen. Ein Witz, denn eigentlich habe ich nur am Freitagvormittag die Möglichkeit, mein Auto abzumelden und bei der Bank eine Vertrauensperson zu bevollmächtigen. Das ist nicht ganz einfach, wenn die dazu bestimmte Person, meine Mutter, persönlich und in meinem Beisein einem Angestellten der Bank ihren Personalausweis vorlegen muss. Mein Konto habe ich nämlich am Standort meiner Kaserne eingerichtet. Die Zulassungsstelle hingegen, bei der ich mein Auto abmelden will, befindet sich 200 Kilometer entfernt an meinem Wohnort. Eine Unfall- und Sterbegeldversicherung abzuschließen, wie es uns empfohlen wurde, schenke ich mir, um mich nicht noch mehr zu stressen. Es ist mir wichtiger, mich in Ruhe von meiner Familie zu verabschieden. Ein Testament will ich auch nicht schreiben. Das empfände ich als ein schlechtes Omen. Was soll mir schon passieren? Immerhin gehe ich mit Leuten in den Einsatz, die bereits am SFOR-Einsatz in Bosnien oder sogar am Somaliaeinsatz beteiligt waren. Dort wurde die Bundeswehr auch aus allen Kampfhandlungen herausgehalten. Ich vertraue auf die Fähigkeiten meiner Vorgesetzten und darauf, gut ausgebildet worden zu sein. Das Gefühl von Besorgnis lasse ich gar nicht erst aufkommen.
Das Wochenende vergeht schnell und zum Glück friedlich. Meine Eltern fahren mich zur Kaserne und halten am Tor vor dem Wachgebäude. Ich will mich schnell im Auto verabschieden, aber meine Eltern lassen es sich nicht nehmen, mit mir auszusteigen. Meine Mutter umarmt und küsst mich tränenreich. Weil ich allzu rührselige Szenen vor den Augen der Wachsoldaten vermeiden will, bitte ich sie ganz sachlich, meine Wohnungsschlüssel mitzunehmen, die ich ja erst mal nicht brauchen werde, und kündige an, nach meiner Rückkehr per Bahn direkt zu ihnen zu kommen. Leider erziele ich die genau entgegengesetzte Wirkung. Unter Tränen fleht meine Mutter: »Robert, pass bitte gut auf dich auf. Geh ja keine unnötigen Risiken ein, hörst du? Und schreib uns, wenn du angekommen bist.« Erneut umarmt und drückt sie mich. Na toll, wenn die Wachmannschaft das beobachtet, werden die mich gleich schön damit aufziehen, wie Mutti ihren kleinen Liebling in den Krieg ziehen lässt.
Zum Glück ist mein Vater weniger dramatisch und drückt mir zum Abschied einfach nur fest die Hand. Ich rate ihnen noch, beim Chinesen gegenüber der Kirche essen zu gehen, um auf andere Gedanken zu kommen. Meiner Mutter laufen weiter die Tränen über das Gesicht, als mein Vater sie sanft zum Wagen schiebt und sagt: »Das wird schon gut gehen mit Robert.« Erleichtert winke ich den beiden kurz nach, als sie hupend davonfahren. Innerlich richte ich mich auf den Spott meiner Kameraden ein, doch glücklicherweise lächeln die nur milde und der Wachhabende sagt mir im Vorbeigehen: »Bist heute nicht der Einzige, dems so geht, Müller!« Nach und nach treffen alle Männer des AVZ in ihren Stuben ein. Bis zum Zapfenstreich trinken wir noch ein paar Dosen Bier und reden über belanglose Dinge, um die Anspannung zu lösen.
Am nächsten Morgen läuft alles wie ein Uhrwerk ab. Selbst die kleinen Pannen, die es sonst immer gibt, bleiben heute aus. Sogar die Truppenküche hat sich besonders viel Mühe gegeben und uns außer einem guten Frühstück auch reichhaltig gefüllte Marschbeutel bereitgestellt. Es geht also doch! Die gesamte Ausrüstung des Bataillons ist bereits von einer Spedition zum Flughafen gebracht worden. Fast alle Keller und Waffenkammern sind komplett leer
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