Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
Übungsgruppen, die miteinander verfeindete Ethnien in der Konfliktregion darstellen, sollen davon abgehalten werden, sich auf offener Straße anzugehen. Die ganze Situation wird in einem Worst-Case-Szenario auf die Spitze getrieben. Aus den umliegenden Gebäuden kommen immer weitere Akteure. Aufgebrachte Personen rufen von der Straße wütend irgendetwas Unverständliches in das Haus der anderen Konfliktgruppe. Die Stimmung ist merklich feindselig. Ein fremdartiges Sprachgewirr erschwert es den Soldaten auf dem Prüfstand, die aufgebrachten Parteien voneinander zu trennen. Da ein Teil der Darsteller russisch spricht, biete ich mich als Dolmetscher an.
Ab sofort bin ich mitten im Geschehen und werde beauftragt, in der nächsten Übungsdarstellung vorweg in ein einsturzgefährdetes Haus zu gehen. In dem Gebäude, aus dem dicke Rauchschwaden emporsteigen, soll sich noch eine Person befinden, die gerettet werden soll. Menschen, deren Absichten unklar sind, laufen aufgeregt umher, sie schreien und werden zudringlich, außerdem kann man sich im Haus nur mithilfe des Tastsinnes durch Geröll und Schutthaufen bewegen – ich gerate in erheblichen Stress. Obwohl es sich um eine Übung handelt, steigt mein Adrenalinspiegel. Ich muss mir immer wieder bewusst machen, dass es nur darum geht, uns auf heikle Situationen im Einsatzland gefasst zu machen. Meine Kameraden, von denen ich größtenteils nicht einmal die Namen kenne, und ich meistern die Aufgabe zur vollen Zufriedenheit der Ausbilder, die uns die ganze Zeit mit Argusaugen beobachtet haben. Als ich bei der abschließenden Beurteilung vom Übungsleiter vor die Front gerufen werde und mein Handeln explizit gelobt wird, bin ich mehr als nur stolz. Ich habe die Hoffnung, von den Berufssoldaten anerkannt und nicht mehr nur als einer dieser Wehrdienstleistenden wahrgenommen zu werden, die kommen und wieder gehen.
Es gibt noch andere Arten der Prüfung für uns. Dicht aufeinander folgend müssen wir ohne Taschenlampe einen engen Kanal durchkriechen, der vollständig abgedunkelt ist. Man möchte herausfinden, wer in solch einer Situation dazu neigt, die Nerven zu verlieren. Das zügige Überqueren eines Dachbodens auf einem schmalen Balken, ohne durch ein Seil gegen einen 4Meter tiefen Sturz gesichert zu sein, kostet ebenfalls Überwindung. Obwohl ich bereits mehrmals aus einem Flugzeug gesprungen bin, muss auch ich sehr gegen Höhenangst ankämpfen. Kaum ist das überstanden, erwartet jeden Einzelnen von uns ein Sprung in ein finsteres Loch, dessen Grund auch bei genauem Hinsehen nicht auszumachen ist. Ich höre angestrengt, ob ich anhand des Aufschlags der Soldaten, die vor mir in die Tiefe springen, abschätzen kann, wie lange man fällt. Es ist nutzlos. Mir bleibt nichts anderes übrig, als mein Leben und meine Gesundheit in die Hände der mir vorgesetzten Ausbilder zu legen und Vertrauen zu haben. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass die eine Menge Ärger bekommen und etliche Stapel Papier ausfüllen müssten, falls mir etwas zustößt. Die nächste Beförderung ließe dann auch auf sich warten.
Eine Ausbildungsstation beeindruckt mich mehr als alle anderen. Es ist der Minenlehrpfad. Statt einer Detonation löst man glücklicherweise nur eine Klingel aus, aber die Häufigkeit, mit der ich versehentlich eine versteckte Sprengladung oder Mine ausgelöst hätte, erschreckt mich. Ein paar Meter weiter ist anhand einer durchsiebten Mauer, eines völlig verformten Autowracks und anderer, vermeintlich stabiler und schützender Objekte dargestellt, welch verheerende Wirkung bereits kleine Mengen Sprengstoff haben können. Zum ersten Mal entsteht in mir eine reale Vorstellung vom Krieg. Und trotzdem wächst mein Selbstbewusstsein. Ich bekomme das Gefühl, zusammen mit meinen Kameraden jede noch so schwierige Aufgabe bewältigen zu können. Die Rolle als Kampfsau mit schwarz getarntem Gesicht unter dem Gefechtshelm und dem Sturmgewehr im Anschlag fühlt sich irgendwie gut an.
Kurz vor unserer Rückfahrt in die Kaserne wird uns an einem Freitag Ausgang bis zum Abend gewährt. Jeder nutzt diese Gelegenheit und versucht so viel wie möglich vom schönen Leben zu erhaschen, bevor wir bald schon in eine uns fremde und gefährliche Welt aufbrechen. Die Wirtshäuser und Weinstuben sind an diesem Tag mehr als gut gefüllt. Die meisten von uns haben keine Zivilkleidung dabei und sind in Uniform unterwegs. Glücklicherweise stößt das in diesem Teil der Republik eher auf Zuspruch und
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