Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
Einsatzland regulär TÜV-geprüft, unabhängig davon, dass sie in kurzen Intervallen von der Instandsetzungseinheit auf ihren erstklassigen Zustand gecheckt werden, damit sie immer zuverlässig funktionieren. Wenn da ein Teil hakt, legt man den Wagen sofort still. Aber jetzt mit diesen schrottreifen Bussen hier auf abgefahrenen Reifen unterwegs zu sein, auf Straßen, die diese Bezeichnung nicht verdienen, mit einem Schlagloch neben dem anderen, ab und an auch noch mit einer Bodenwelle dazwischen – was soll man davon halten? Darauf gibt es die Standardantwort wie auf die meisten Fragen bei der Bundeswehr: »Ist halt so!«
Also steige ich mit meinem Rucksack beladen in das Schrottmobil ein. Die rostige Stufe gibt verdächtig unter meinem Gewicht nach, aber der jugendliche Busfahrer, der wie ein Freischärler in bunt zusammengewürfelter Militärbekleidung steckt, winkt mich freundlich hinein. Klar freut er sich, denke ich misstrauisch. Unbewaffnet, wie wir sind, verkauft er uns an der nächsten Ecke an einen serbischen Kriegsverbrecher. Wir türmen unsere Rucksäcke im Mittelgang übereinander auf und quetschen uns auf die viel zu kleinen Sitze. Dass sich die vordere Tür des Busses während der Fahrt nicht schließen lässt, ignoriere ich ebenso wie die leichte Schräglage. Für die knapp 50 Kilometer werden wir mindestens eine Stunde unterwegs sein.
Gerade als ich mir die Kopfhörer meines Discman in die Ohren stecken will, um mich während der Fahrt nach Tetovo etwas zu entspannen, kracht es heftig. Natürlich denke ich zunächst, dass etwas von dem Vehikel abgebrochen ist. Doch der anhaltende prasselnde Lärm und ein Blick aus dem Fenster belehren mich eines Besseren. Am Straßenrand stehen Leute, die uns mit einem Steinhagel begrüßen. Sechs oder sieben Männer haben die rechte Hand erhoben und machen den Hitlergruß und mit der Linken fahren sie sich über die Kehle. Der Busfahrer tritt aufs Gaspedal, aber die überladene Krücke kommt nicht in Fahrt. Wir haben noch nicht einen Schuss Munition in der Tasche und ich frage meinen Sitznachbarn Wolf: »Sollen wir uns hier vielleicht mit dem Messer verteidigen oder was hat sich unsere schlaue Führung gedacht?« – »Tja, Y-Tours, wir buchen – Sie fluchen«, antwortet er mir mit dem gleichen Sarkasmus in Anspielung auf die mit Y beginnenden Kfz-Kennzeichen der Bundeswehr. Während der Vorausbildung in Hammelburg gab es ein ähnliches Szenario, das mit einer Geiselnahme durch Aufständische endete. Besorgt und sicherlich auch etwas naiv frage ich laut, was die denn für ein Problem haben. Obergefreiter »Atze« Schröder dreht sich zu uns um und sagt in seiner lakonischen Art: »Da haben unsere Großväter wohl einen bleibenden Eindruck hinterlassen.« Atze gehört auch zum AVZ. Er ist ein großer, aber eher drahtiger Typ, der beim Laufen immer ganz weit vorn an der Spitze ist, obwohl er kaum dafür trainieren muss. Häufig bringt er uns mit seinem trockenen Humor zum Lachen. Endlich lassen wir die aufgebrachte Meute hinter uns. Die Fenster haben den Steinwürfen irgendwie standgehalten und niemand ist zu Schaden gekommen.
Auf der kurzen Strecke nach Tetovo wird kein Zwischenhalt eingelegt. Dummerweise haben aber einige wegen der Hitze im unklimatisierten Bus ihren Getränkevorrat geleert, ohne sich Gedanken zu machen, wo sie ihre Blase entleeren könnten. Der Bus hat keine Toilette und so müssen sie sich anders behelfen. Wer das Glück hat, eine Plastikflasche dabei zu haben, schneidet ihr den Hals ab und zirkelt so gut es geht seinen Urinstrahl hinein. Mit spitzen Fingern werden sie dann nach vorne zur offenen Tür durchgereicht und mit einem gekonnten Wurf wie eine Handgranate aus dem Bus geschleudert.
IM NATO-LAGER
Im NATO-Lager Tetovo werden uns nach der Ankunft eine schusssichere Weste und 60Schuss Munition ausgehändigt. Das bedeutet, dass wir mit gerade einmal 2 vollen Magazinen pro Kopf das »robuste Mandat« durchsetzen sollen. Bei einem unerwarteten Feuerkampf mit gleichwertig bewaffneten Gegnern würde das nicht einmal genügen, um sich den Weg in die nächstgelegene Deckung freizuschießen. Ich frage fassungslos den Obergefreiten Kehl, der auch im Aufklärungs- und Verbindungszug dient, was man sich dabei denkt, uns mit den paar Murmeln abzuspeisen. Der Friese hat die gleiche gemütliche Art wie die Kaltblutpferde aus seiner Region und ähnlich viel saufen kann er auch, wie ich in Hammelburg am Abschlussabend feststellen konnte. Jedenfalls
Weitere Kostenlose Bücher