Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
Zweitonners hinausragt, ist ganz außer sich. »Wie geil ist das denn!«, ruft er mehrfach aufgeregt zu mir hin. Ich fahre Schrittgeschwindigkeit, um die Menschen, die begeistert auf unsere Lkw springen und mit Freudentränen in den Augen ein Stück mitfahren, nicht zu gefährden. Großartig, so müssen sich die Alliierten gefühlt haben, als sie die von den Nazis besetzten Länder befreiten. Es ist wie in einem Film. Obwohl ich gerade erst zu meinem Einsatz eintreffe, genieße ich das Gefühl, als heldenhafter Retter begrüßt zu werden. Ich fühle mich diesen Menschen in diesem Moment unbeschreiblich verbunden. Alle Zweifel der letzten Wochen und Monate, ob es richtig ist, an diesem Einsatz teilzunehmen, sind fort.
In einem Bezirk etwas außerhalb der Stadt befindet sich eine ehemalige Teefabrik. Das eingezäunte Gelände ist als geeignete Basis für unser Feldlager erkundet worden. Das kleine Wachgebäude am Eingangstor ist schon von unseren Leuten besetzt, die jeden kontrollieren, der Zutritt zu dem Areal sucht. Unsere Kameraden winken uns durch, einer deutet auf eine Freifläche, auf der wir unsere Fahrzeuge abstellen können. Zu sehen, wo wir die nächste Zeit verbringen sollen, ist allerdings ein kleiner Schock. Die wenigen Typ1Zelte der Bundeswehr, die von unserer Vorhut bereits aufgebaut wurden, sind schnell völlig überfüllt. Die Hitze staut sich in diesen Zelten aus schwerer Baumwolle. Beim Betreten erscheinen sie einem als provisorische Sauna. Die Alternative dazu ist auch nicht besser: Mir wird ein Feldbett zugewiesen, das einfach in den Kies gestellt wurde. Kein Dach, Baum oder Sonnensegel, die etwas Schatten spenden könnten, ist weit und breit zu sehen. Einige Soldaten haben sich ihren Schlafplatz sogar direkt auf dem Boden eingerichtet. Sie finden es offenbar angenehmer, nur mit unserer dünnen Isoliermatte abgepolstert im Schotter zu schlafen als in den durchgelegenen Feldbetten. Das einzige feste Gebäude, eine große blaue Halle, steht verloren auf diesem mehrere Hektar großen Areal.
Mit einigen Kameraden bekomme ich den Auftrag, es zu durchsuchen. Kein ungefährliches Unterfangen, da die Kriegsparteien leer stehende Häuser gerne mit Sprengfallen versehen, um sie für den Feind unbrauchbar zu machen. Überall auf dem Boden liegen Munitionshülsen verschiedenster Kaliber. Die Wände sind stellenweise von Einschusslöchern durchsiebt. Die Sprengstoffexperten vom EOD-Team, das uns begleitet, geben Entwarnung, nachdem wir jeden Winkel mit ihnen genau in Augenschein genommen haben. Die Halle kann eingerichtet werden. Von Oberfeldwebel Rüstmann werden wir noch gewarnt: »Bewegt euch nur auf den Betonplatten und den festen, bereits mit Trassierband gekennzeichneten Wegen. Hier können überall noch Minen eingegraben sein.« Das ist nicht gerade beruhigend. Die räudigen Hunde, die frei auf dem Gelände herumlaufen, sind uns auch nicht geheuer. Der Gedanke an Tollwut liegt nahe.
Zu unserem Glück bekommt der AVZ zwei Räume innerhalb der Halle zugewiesen. Sie sind zwar klein, aber wir fühlen uns darin einigermaßen geschützt. Als ich auf die blöde Idee komme, meinen Kameraden Kehl zu fragen, ob er irgendwo Steckdosen gesehen hat, fange ich mir einen Spruch ein. Es gibt ja nicht mal genug Betten, geschweige denn fließend Wasser oder ein Klo. Aus zusammengesammelter Kartonage, die in der alten Teefabrik noch herumliegt, richten wir uns einen einigermaßen weichen Schlafplatz her. Die großen, blassgelben Fliesen, mit denen der Boden und die Wände der Halle ausgelegt sind, wurden durch die eingeschlagenen Geschosse zum größten Teil beschädigt. Was von ihnen übrig ist, bedeckt als dicke Schutt- und Staubschicht den Boden. Trotz der Pappenunterlage und meiner Isoliermatte erweist sich das Probeliegen in meinem Schlafsack als nicht gerade bequem. Es bleibt uns nicht mehr viel Zeit, um die Lkw zu entladen. Nach Sonnenuntergang wird es fast schlagartig so dunkel, dass man die Hand vor den Augen nicht mehr sieht. Bis dahin muss alles Wichtige erledigt sein. Die Wege und Eingänge markieren wir uns auch innerhalb des Gebäudes mit dem phosphoreszierenden Trassierband. Wir werden eben fertig, als die Dunkelheit hereinbricht. Plötzlich ist alles wie verwandelt. Die geschäftige Betriebsamkeit kommt zum Erliegen, Ruhe kehrt ein. Zikaden geben in der angenehmen Kühle der Nacht ihr lautes Konzert und am Himmel werden so viele funkelnde Sterne sichtbar, wie ich es vorher noch nie gesehen habe.
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