Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
Nachdenklich gehe ich ins Gebäude. Auch dort tanzen Lichter im Dunkeln. Es sind meine Kameraden, die im Schein ihrer Taschenlampen an ihrem Lager sitzen. In den Räumen des AVZ erwartet mich eine Überraschung: ein im Wasserbad gut gekühltes Bier. Ein Bier! Hier, in dieser Einöde. Einer der alten Hasen muss eine Palette mitgeschmuggelt haben. Was für ein Luxus! Ich bin begeistert. Wir sitzen noch eine gute Stunde beisammen, lassen unsere Eindrücke Revue passieren und geben dem turbulenten Tag noch einen gemütlichen Abschluss.
Der nächste Morgen beginnt noch vor Sonnenaufgang. Wir haben genug Brauchwasser zur Verfügung, um uns abzuduschen. Dazu durchlöchern wir den Boden oder den Deckel einer 1,5LiterWasserflasche. Auf diese Weise können wir den Wasserstrahl mit etwas Druck auf die Flasche regulieren und auf die einzelnen Körperpartien richten. Die Rasur und Zahnpflege geht ähnlich spartanisch vonstatten. Um Durchfall und Entzündungen vorzubeugen, schütten wir einen Schluck unseres kostbaren Trinkwassers in unser Koch- und Essgeschirr, auch Pig-Pott genannt. Für die Rasur nutze ich den Außenspiegel eines Geländewagens. Wie gewohnt stehe ich acht Minuten später fertig in den Stiefeln und gehe mit dem Pig-Pott erwartungsvoll zum Verpflegungszelt. Ich sehe schon beim Eintreten die Massen übereinandergestapelter EPa-Kartons. Diese als Einmannpackung bezeichnete Notration soll die Kampfkraft eines Soldaten für einen Tag erhalten. Ebenso trocken wie die militärische Bezeichnung ist der Inhalt aus Hartkeksen, Brotaufstrich, Zartbitterschokolade und Fertiggerichten, die sowohl warm als auch kalt verzehrt werden können. Dazu gehören Kaffee, Tee- und Getränkepulver. Eine Feldküche ist noch nicht eingerichtet worden, es ist auch nicht abzusehen, wann das geschehen wird. Daher soll sich jeder von den EPa so viel nehmen, wie er tragen kann. Die Auswahl besteht aus Typ II, Gulasch mit Kartoffeln und Cevapcici mit Reis, und Typ III, Hamburger in Tomatensoße und Tofu mit Gemüse. Ich nehme mir möglichst viele Pakete mit Hamburgern. Die dünnen Fleischfrikadellen sind auch kalt einigermaßen zu genießen. Wenn man Weißbrot dazu bekommt, kann man sich etwas zusammenstellen, das entfernt an einen Hamburger erinnert. Den Tofu nehme ich in Kauf. Er ist allerdings so fade, dass selbst die streunenden Wildhunde ihn verschmähen, wenn man es ihnen anbietet. Die nächsten Wochen werde ich also zwischen diesen opulenten Mahlzeiten wählen dürfen, bis die mobile Küche eintrifft.
Doch die Aussicht, wochenlang von diesen Notrationen zu leben, ärgert mich weitaus weniger als das, was mich als Nächstes erwartet. Da die Blaue Halle viel zu klein ist, um alle Soldaten unterzubringen, soll die Freifläche zum Aufbau einer Zeltstadt genutzt werden. Es hat sich allerdings herumgesprochen, dass kurz vor unserer Ankunft ein Hauptfeldwebel der Pionierkompanie auf eine Mine am Rand der etwa zwei Hektar großen Sandfläche getreten ist und schwer verletzt evakuiert wurde. Niemand von uns verlässt die markierten Wege. Über die verheerende Gefahr, die von diesen verborgenen Wächtern ausgeht, sind wir uns alle im Klaren. Von der PMA3Mine, die einem Eishockeypuck ähnelt, über die nach ihrer Form und Oberfläche benannte PMR2Maiskolbenmine bis zur tortenschachtelgroßen Panzermine haben wir hier schon einige Exemplare zu sehen bekommen.
Die kleine Puckmine ist so konzipiert, dass ihre 35Gramm Sprengstoff einen Fuß und den Unterschenkel zerfetzen. Verwundete binden mehr Kräfte als Tote. Eine acht Mann starke Gruppe wäre in so einer Situation gezwungen, einen Auftrag abzubrechen, um den Verletzten zu bergen und sich dabei selbst gegen einen Angriff zu sichern. Die Antipersonenmine löst bereits bei einer Druckbelastung von 8 Kilo aus, daher sind Kinder ebenfalls gefährdet. Die Maiskolbenmine wird durch einen Stolperdraht ausgelöst. Der zieht einen Splint und zündet 100 Gramm TNT. Den Kameraden, die am etwa 17 Kilometer entfernten Morinipass an der kosovoalbanischen Grenze stationiert sind, fiel erst, drei Tage nachdem sie ihre Zelte bezogen hatten, eine dieser Minen in einer Baumkrone neben den Zelten auf. Glücklicherweise war es bis dahin windstill gewesen. Bei etwas stärkerer Bewegung der Äste wäre der Splint gezogen worden und ein Metallsplitterregen wäre über die Männer hereingebrochen. Auch die Panzerminen waren durch Anbrechen des Plastikoberteils teilweise so präpariert, dass sie bereits bei 50 Kilogramm
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