Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
Letzte, was ich sehe!«, kontere ich. »Klugscheißer«, kriege ich als Antwort zu hören und der dicke Limmann steckt seinen Kopf zum Fenster des Zweitonners hinein und ruft: »Guck lieber mich an – ich bin viel schöner!« Diese kleine Frotzelei bringt uns unweigerlich zum Lachen.
Der Spaß ist aber schnell vorbei. Oberfeldwebel Rüstmann löst sich von der Gruppe um den Dorfältesten und zischt uns zu, das Lachen sofort zu lassen, hier sei momentan gar nichts lustig. So ernst ist unser Zugführer äußerst selten, daher werden wir sofort hellhörig. Doch wir erhalten keine weiteren Informationen über die Gesuchte. Es bleibt auch rätselhaft, wer die Frau mit Waffengewalt unter den Augen der schockierten Dorfbewohner entführt hat. Der Oberfeldwebel sagt uns lediglich, dass die Minenlage in der Gegend nicht geklärt sei. Daraufhin machen wir kehrt und durchkämmen die Landschaft. In der Bergregion wechseln sich beackerte Felder mit Brachland ab, Gebüsch und Sträucher grenzen die Flächen voneinander ab. Wir fahren in Schrittgeschwindigkeit und suchen mit unseren Ferngläsern nach einem noch so kleinen Hinweis, der uns auf die Spur der vermissten Frau führen könnte. Es ist ja schon einige Wochen her seit ihrer Entführung, wo sollte man da noch eine Spur finden können? Nach einer Stunde vergeblicher Suche bin ich mir sicher, dass wir sie eher als Zwangsprostituierte in einem Bordell finden als hier auf weiter Flur.
Plötzlich haben wir den Hinweis, den wir suchen. Die Feldjäger steigen fast synchron aus ihrem Fahrzeug. Aber auch alle anderen haben bereits wahrgenommen, was die Militärpolizisten zum Aussteigen bewogen hat. Es ist nichts Sichtbares, sondern der abstoßende, schwere und leicht süßliche Geruch des Todes, der uns im Kosovo bereits einige Male in die Nase gekrochen ist. Die Frage ist nur, ob es sich um ein verendetes Tier handelt oder ob es tatsächlich die entführte Frau ist, die hier im verdorrten, gelben Gras liegt. Ich glaube, es ist Malcom, der sie entdeckt. Die Männer scharen sich um eine Stelle, die etwa 50Meter vom Sandweg entfernt liegt. Ein dünner, verschlungener Trampelpfad führt durch dichtes Gebüsch dorthin. Ich bin nicht scharf darauf, einen Blick zu riskieren. Schon der Gestank, der bis in meine Fahrzeugkabine dringt, widert mich an. Ich versuche ihn mit Zigarettenrauch zu überdecken. Ich bin der Einzige, der bei den Fahrzeugen geblieben ist, die anderen Fahrer haben sich gleich nach dem Fund neugierig zu den anderen begeben.
Als die Ersten wortlos und mit betretenen Gesichtern zurückkehren, kann ich es mir leider nicht verkneifen, leise zu fragen, was sie denn gesehen haben und ob es sich um die gesuchte Frau handelt. Es ist Wolf, der mir sagt, ich solle mir das unbedingt selber ansehen. Ich bin etwas verunsichert, weil ich nicht als Feigling dastehen möchte. Alle haben sich ein Bild gemacht, jetzt gehe also auch ich den Pfad zur Fundstelle hoch. Als ich bei den anderen angelangt bin, ist die Intensität der Leichengase so stark, dass ich gegen meinen aufkommenden Brechreiz ankämpfen muss. Der Blick auf die Frau ist durch meine Kameraden verdeckt. Erst als ich direkt hinter ihnen stehe, tritt einer zur Seite und gibt mir den Weg frei. Vor mir liegt eine Frau mit zerrissener Kleidung auf einer fleckigen Matratze. Ihr langes, blondes Haar ist fast gänzlich mit der Kopfhaut vom Schädel abgefallen. Die leeren Augenhöhlen sind tiefschwarz und der stark skelettierte Unterkiefer klafft grotesk weit auseinander. Fliegenlarven bevölkern die Mundhöhle. Über dem rechten Auge, knapp neben der Nasenwurzel, ist ein kleines, kreisrundes Loch zu sehen. Vergewaltigt und dann mit einem Kopfschuss beseitigt. Ich bin völlig gefangen von diesem Anblick und es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, bis ich mich davon lösen kann. Eilig stolpere ich zurück zum Lkw. Es ärgert mich, dass ich mir diesen Anblick angetan habe. Es ist anders als bei den anderen Toten, die ich hier zu Gesicht bekommen habe. Und ich ahne auch nicht, dass der Anblick von Leichen mich auch in Zukunft noch oft unerwartet treffen wird.
Ich muss noch etwas an diesem Ort ausharren, denn die Feldjäger sichern soweit möglich die Spuren. Irgendjemand scheint die Frau aufnehmen oder umdrehen zu wollen, denn ich höre Rüstmann durchdringend rufen: »Nicht anfassen!« Es ist sofort klar, warum. Während der Einsatzvorbereitung hat man uns sehr eindringlich davor gewarnt, Gegenstände jeglicher Art, aber auch Personen,
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