Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
zu ertasten, war er die wenigen Schritte nur von dem Gedanken getragen, möglichst rasch seinem vertrauten Kameraden Hilfe zu leisten. Alle waren völlig geschockt und verunsichert, als nun auch Ruths auf eine Mine trat. Es gab keine andere Möglichkeit: Man musste sich den Weg nun mit der Sonde suchen und die schmerzerfüllten Schreie der Kameraden aushalten. Die Bergung zog sich über mehrere Stunden hin. Letztlich wurden die beiden Verunglückten mit einer Rettungswinde in einen Hubschrauber gehievt und abtransportiert.
Erst Wochen später erfahre ich, dass beiden der linke Unterschenkel amputiert werden musste. Für Ruths, der als Soldat auf Zeit bei der Bundeswehr verpflichtet war, beginnt nun der Privatkrieg mit den Behörden. Die Öffentlichkeit und die Soldaten erfahren davon nur, weil er die Medien zu Hilfe zieht. Bei mir und meinen Kameraden stößt er damit teilweise auf Unverständnis. Wir fühlen uns der Armee so verbunden, dass es uns stört, wenn in aller Öffentlichkeit schmutzige Wäsche gewaschen wird. Erst Jahre später begreife ich durch meine eigene Geschichte, dass man, ohne öffentlich auf die Missstände der Soldatenversorgung aufmerksam zu machen, keine Chance hat, eine Gesetzesänderung zu bewirken.
Am 15. November 2000 stellte in der 132. Sitzung des Bundestages Günther Friedrich Nolting, Mitglied im Verteidigungsausschuss, die Frage, ob es nicht sinnvoll sei, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, um Soldaten, die im Einsatz verwundet werden, angemessen zu versorgen. Walter Kolbow, parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, beteuerte, dass bereits eine interne Arbeitsgruppe eingesetzt wurde, die sich mit dem Thema befasse. Nach Abschluss der Untersuchung solle der Bundestag unverzüglich informiert werden. Es sollte aber noch 7Jahre dauern, bis das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz verabschiedet wurde. Noltings Frage, ob es im Bundesministerium der Verteidigung denn zukünftig eine Ansprechperson für betroffene Soldaten geben werde, beantwortete Kolbow wie folgt: »Ich denke, dass auch das in die Prüfung einbezogen wird. Im Übrigen stehen gerade bei den Fällen, in denen Soldatinnen oder Soldaten im Ausland ein solches Schicksal erleiden, alle Mitglieder der politischen Leitung, aber auch der militärischen Führung jederzeit als Ansprechpartner zur Verfügung.« Eine freche Behauptung, auf die leider nicht weiter eingegangen wurde. Ich habe sehr viele Politiker und Mitarbeiter des BMVg (Bundesministerium der Verteidigung) angesprochen und um Beistand gebeten. Diejenigen, die sich meiner angenommen haben, sind Reinhold Robbe, SPD, Dr. Martina Krogmann, CDU, Elke Hoff, FDP, und Serkan Tören, FDP, um nur diejenigen zu nennen, die sich mehr als einmal bei politischen Diskussionen für mich starkgemacht haben. Natürlich habe ich wesentlich mehr Politiker um Unterstützung gebeten, nicht zuletzt den damaligen Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg persönlich, aber außer der Aussage, dass man Verständnis für meine prekäre Lage habe und ich mich noch etwas gedulden müsse, da an einer Gesetzesänderung zugunsten im Einsatz versehrter Soldaten gearbeitet werde, keine Hilfe erhalten.
Dass gerade Pionieren so etwas passiert ist, gibt mir zu denken. Bisher glaubte ich, ihre Spezialkenntnisse als EOD würden sie vor Schaden bewahren, auch wenn ihr Risiko bei der Kampfmittelbeseitigung natürlich groß ist. Die anfängliche Vorsicht, die sich im Laufe des Einsatzes verflüchtigt hat, ist wieder ständig präsent. Da ich im Prinzip völlig ahnungslos über das Wohin, Warum und Wozu durch die Schluchten des Balkan chauffiere, bin ich auch nicht sonderlich interessiert, als wir in einem Dorf haltmachen. Offenbar werden wir bereits von einer Gruppe Männer erwartet. Während sich der Dorfälteste und unsere Führer besprechen, nehmen wir Mannschafter automatisch eine Rundumsicherung ein. Ein junger Dorfbewohner geht in gewohnter Gastfreundschaft mit einer Kanne Tee von einem Fahrzeug zum nächsten und bietet uns eine Erfrischung an. Im Gegensatz zu meinen Kameraden bin ich bei Schwarztee nicht misstrauisch, was die Bekömmlichkeit betrifft. Daher zücke ich zum Erstaunen des jungen Mannes eine Falttasse aus Gummi, den sogenannten Schnorrerbecher, aus meiner Beintasche und lasse sie mir dankbar von ihm auffüllen. Malcom grunzt mir von seiner Position in der Dachluke aus zu, dass ich blind werde, wenn ich das Zeug trinke. »Verdammt, dann bist du ja das
Weitere Kostenlose Bücher