Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
YOU!«
Ab den frühen Morgenstunden eskortiert uns griechische Militärpolizei bis nach Thessaloniki. Dort werden wir in einem eingezäunten Areal am Hafen einquartiert, nachdem wir die Fahrzeuge im Bauch der Frachtschiffe abgestellt haben. Ein Gebäude, das sonst möglicherweise als Speicher dient, ist für eine Nacht unsere Unterkunft. Die Betten sind zu drei Etagen übereinandergestapelt. Es sieht aus wie in einem amerikanischen Großraumgefängnis. Auf die Dixitoiletten mag niemand gehen, da sie bis obenhin vollgeschissen sind. Wer nicht mehr aushalten kann, sucht sich eine abgelegene Stelle an der Kaimauer. Dagegen war das Leben im Lager geradezu luxuriös. Der Freude, nach Hause zu kommen, tut dieses Dreckloch keinen Abbruch. Ich liege auf meiner Matratze und vertreibe mir die Zeit, indem ich Musik höre, mit meinen Kameraden über ihre Einsatzerlebnisse rede oder vor mich hin döse. Wir sind zwar erschöpft, aber schlafen kann heute wohl keiner von uns. Auf dem schmalen Bitumenstreifen zwischen dem Gebäude und dem Wasser haben sich viele Kameraden in Grüppchen zueinander gesellt.
Das Gelände verlassen dürfen wir nicht, dennoch schleichen sich ein paar Heißsporne an den griechischen Sicherheitskräften vorbei und gehen in die Stadt. Dieses Wagnis kann ihre Heimkehr um ein paar Monate verzögern, zumal einige keine Zivilkleidung dabeihaben. Sie verkennen die griechische Mentalität. Ein deutscher Soldat, der mit gefüllter Brieftasche saufend und hurend durch das Hafenviertel zieht, wacht schnell mal in einem griechischen Gefängnis auf. Um so etwas zu verhindern, setzt man einen Sicherheitsdienst auf uns an – für die Abenteurer ein Anreiz, erst recht zu zeigen, wie leicht es ihnen gelingt »auszubrechen«. Die Mehrheit verbringt die Nacht mit einer ruhigen Abschiedsfeier unter Kameraden. Die sonst übliche Abgrenzung zwischen Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaftssoldaten existiert an diesem Abend nicht. Uns ist bewusst, dass ein besonderer Abschnitt in unserem Leben zu Ende geht. Die Eindrücke der letzten Monate haben sich tief in unser Gedächtnis gegraben. Das gemeinsam Erlebte hat uns verändert und es verbindet uns für alle Zeit miteinander. Bis zum Sonnenaufgang werden in dieser milden Nacht etliche Flaschen erstklassiger Spirituosen geleert und mindestens ebenso viele Freundschaftsbekenntnisse und Bündnisse fürs Leben bekräftigt.
Ein paar Stunden später amüsieren wir uns am Flughafen über die Maßnahmen zur Dekontamination. Damit keine Krankheiten oder gar Seuchen von uns nach Deutschland eingeschleppt werden, sollen wir alle durch eine Plastikwanne stapfen, die etwa eine Handbreit mit Ameisensäure gefüllt ist. Da wir danach noch 200 Meter bis zur Gangway des Flugzeugs gehen müssen, erscheint uns diese Aktion lächerlich. Wir lästern ganz offen über diesen Unsinn. Den Soldaten von der ABC-Truppe ist das peinlich, sie sagen uns verlegen, es sei nun einmal Vorschrift. Die Zeit bis zur Ankunft in Deutschland vergeht buchstäblich wie im Flug. Während der Landung der Transall darf ich zu meiner großen Freude im Cockpit sitzen. Kaum gelandet, geht der Abschied in zwei Wochen Urlaub ganz schnell. Wir treten als ungeordneter Haufen in Schützenwolke an. Ein mir unbekannter Soldat aus dem Stab versucht halbherzig, die Formalitäten abzuwickeln. Wer nicht von Angehörigen abgeholt wird, lässt sich an einem Tisch am Rand des Rollfeldes eine Bahnfahrkarte aushändigen. Dann heißt es nur noch »Tschüss, schönen Urlaub«. Verdattert stehe ich mit meinem Seesack auf dem Bundeswehrflugplatz herum. Wo ist der Ausgang? Wie komme ich zum Bahnhof? Glücklicherweise bin ich nicht der Einzige, der sich selbst um seine Heimfahrt kümmern muss. Zu viert lassen wir uns im Taxi zum Hauptbahnhof von Hannover bringen, dort trennen sich unsere Wege.
Während der Bahnfahrt komme ich mir wie ein Außenstehender, ein Beobachter vor. Obwohl ich finde, dass der KFOR-Aufnäher auf dem Ärmel meiner Uniform mich als heldenhaften Krieger ausweist, nimmt man kaum Notiz von mir. Ich bin aus einer anderen Welt hierher zurückgeworfen worden, doch das interessiert offenbar niemanden. Ich aber betrachte alles sehr genau. Meine Heimat ist mir nicht mehr so vertraut, wie ich dachte. Zuerst fällt mir auf, dass hier eine ganz andere Luft ist. Es riecht nicht mehr nach Staub, Verbranntem oder Fäulnis. Ich genieße das Grün der Landschaft und den Anblick der gepflegten Häuser, wenn wir eine Ortschaft passieren.
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