Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
insbesondere Leichen aufzuheben oder auch nur zu bewegen. Oftmals werden heimtückisch entsicherte Handgranaten unter den Körpern versteckt, die beim Versuch der Bergung explodieren.
Während der Fahrt zurück wird nur das Nötigste gesprochen. Die Gase der Verwesung scheinen an mir zu haften. Das Gefühl, mich erbrechen zu müssen, ist auch noch da. Im Lager mache ich mich zügig auf den Weg zur Dusche, wechsele die Kleidung und putze mir die Zähne sehr gründlich, um den intensiven Geruch der Leiche nicht weiter wahrnehmen zu müssen.
Inzwischen ist das Ende meines Kosovoeinsatzes absehbar. Meine Gedanken kreisen immer häufiger um »die Zeit danach«. Was werde ich zuerst machen? Kaufe ich mir einen Computer vom Ersparten oder höre ich auf Kutz und lege mein Geld in Aktien an? Wolf spricht immer von dem Ferrari, den er sich für ein Wochenende ausleihen möchte. Andere überlegen, welches Auto sie sich von den etwa 20000 DM kaufen werden, die sich während unseres Auslandseinsatzes auf den Konten angesammelt haben. Mehr als die etwa 180DM »Buschgeld«, die wir jeden Monat von unserem Spieß bar auf die Hand bekommen, wird hier kaum jemand ausgegeben haben. Wo denn auch? Der Marketender hatte einige erlesene Whiskeysorten für uns und die aktuellsten Parfümfläschchen für die Liebsten zu Hause im Angebot, doch diese Luxusgüter sind auch in unserem Militärkiosk für kleines Geld zu haben. Ich freue mich auf eine Badewanne mit viel duftendem Badeöl, auf die Eierkuchen meiner Mutter, mein mit kühlen Laken frisch bezogenes Bett und den Luxus, so viel Wasser zur Verfügung zu haben, wie ich mag.
Ich denke aber auch an die vielen Dinge zurück, die in den letzten Monaten meine bisherige Sicht der Welt auf den Kopf gestellt haben. Ich musste lernen, mir unter Androhung von Gewalt Respekt zu verschaffen, bei Aufträgen das Gewehr immer griffbereit zu halten, auch wenn mir der Zweck der Aufträge oftmals unklar war. Ich musste ständig Tod und Verwundung gewärtigen und erkennen, dass das in Deutschland als »normal« Geltende ein besonderes Gut ist und keineswegs selbstverständlich. Es ist ein gutes Gefühl, bald wieder in diese Normalität eintauchen zu können. Gleichwohl werden einige Soldaten zu Hause ein Trümmerfeld vorfinden, weil Frau oder Freundin über alle Berge ist – womöglich mit dem Geld, das man hier unter Einsatz seines Lebens sauer verdient hat. Freunde oder Familienmitglieder könnten inzwischen gestorben sein. Besonders hart wird es sicherlich die Soldaten der türkischen Einheit treffen; in ihrer Heimat hat ein heftiges Erdbeben viele Todesopfer gefordert und zahlreiche Gebäude zum Einsturz gebracht. Am Tag nach dem Erdbeben war ich in der Brigade. Vor den Telefonkabinen standen die türkischen Soldaten in einer langen Reihe. Viele weinten. Im Einsatzland bleiben zu müssen, während man von seinen Angehörigen gebraucht wird, ist eine harte Zerreißprobe. Den türkischen Kameraden war ihre Verzweiflung deutlich anzusehen.
Trotz aller Entbehrungen habe ich das Gefühl, dass mein Einsatz im Kosovo sinnvoll war. Das robuste Mandat wurde von uns gut genutzt, die positive Entwicklung ist unmittelbar zu erkennen. Die marodierenden Horden, die zu Beginn unseres Einsatzes noch jede Nacht unterwegs waren und mordend, plündernd und brandstiftend wüteten, besonders im serbischen Viertel, sind durch unser hartes Durchgreifen bei den nächtlichen Patrouillen zurückgedrängt worden. Wen wir auf frischer Tat erwischten, brachten wir direkt ins Gefängnis von Prizren.
Dass wir im Umgang mit den verschiedenen Volksgruppen keinen Unterschied machen, ist für viele Anhänger der albanischen UÇK sicherlich eine Überraschung. Da die UÇK als Verbündeter der NATO die Bombardierung der serbischen Gefechtsstände vom Boden aus gelenkt hat, hat sie sich möglicherweise Sonderrechte erhofft. Unser Auftrag ist jedoch, weitere Gewalttaten zu verhindern und das Einsatzgebiet zu befrieden. Das setzen wir durch, ohne eine Ethnie davon auszunehmen. Viele Serben werden dazu zwangsumgesiedelt. Ihre Sicherheit kann in den albanisch dominierten Teilen der Stadt nicht gewährleistet werden. Das ist besonders für die Leute sehr hart, die schon lange, teilweise seit Generationen an einem Ort leben. Ich muss dabei an eine alte Frau denken, der eine Frist zur Räumung ihrer Wohnung gesetzt wurde. Sie hat sich lieber mit einer Handgranate im Bett getötet, als zu gehen. Doch es gibt keine Alternative. Wer sich
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