Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition)
hatte auch sie sich in ihre Jacke gehüllt. Eva warf einen Blick auf ihre Beine. Sie selbst hatte sich immerhin noch für eine Strumpfhose entschieden, doch Solvejg schien die Kälte zu lieben.
„Wollen wir ein Stück gehen? Dahinten sieht es windgeschützter aus“, schlug Solvejg vor und deutete die breite Industriestraße hinab zu einem alten Verladegelände, auf dem sich alte, hausgroße Container türmten. Eva nickte dankbar und zu ihrer Überraschung hakte sich Solvejg bei ihr unter.
„Dir ist kalt, oder?“, fragte Solvejg mit einem Seitenblick.
„Es geht schon“, antwortete Eva fröstelnd, „aber gegen etwas Windschatten hätte ich nichts einzuwenden.“
„Ich werde schon dafür sorgen, dass es dir wieder warm wird.“ Solvejg legte ihren Kopf gegen Evas Schulter, dann deutete sie auf eine Stelle in einem hohen Bretterzaun auf der gegenüberliegenden Straßenseite. „Ich glaube, wir können hier abkürzen.“
Eva war ein Schauer über den Rücken gelaufen, als ihr alkoholisiertes Gehirn anfing, sich auszumalen, wie Solvejg dafür sorgen wollte, dass ihr wieder warm würde. Sie spürte ihr Herz schneller schlagen, gleichzeitig fasziniert von diesen Gedanken und in plötzlicher Panik, Solvejg könnte die Initiative ergreifen. Aber vor was hatte sie Angst? Was stand schon auf dem Spiel? Solvejg vertraute sich niemandem außer ihr so offen an, dass es herauskommen würde, wenn sie etwas mit ihrer Patientin hätte. Und gleichzeitig brauchte sie sich vor sich selbst nicht zu rechtfertigen, wenn der erste Schritt von Solvejg ausging. Sie hatte ihre Position als Solvejgs Ärztin nicht ausgenutzt, oder?
Eva folgte ihrer Begleiterin durch ein Loch im Zaun. Dahinter lag ein breiter, offener Streifen betonierter Fläche, die sie im Laufschritt überquerten. Windböen warfen sie immer wieder aus ihrer Bahn, doch schließlich erreichten sie die gestapelten Container. Sie verschwanden in einer engen Gasse zwischen diesen und obwohl es hier noch immer zugig war, die direkte Wucht des Winds war verschwunden.
„Besser hier?“, erkundigte sich Solvejg.
„Viel besser“, entgegnete Eva und lehnte sich gegen die Wand eines Containers. „Aber es hämmert in meinem Kopf.“
„Du hast zu viel getrunken“, kicherte Solvejg und lehnte sich neben ihr ebenfalls an.
„Was du nicht sagst ...“, murmelte Eva zurück.
„Ich muss dir etwas sagen“, begann Solvejg unvermittelt. Eva spürte ein flaues Gefühl im Magen. „Glaub mir, es war ein wundervoller Abend und ich hatte sehr viel Spaß, aber ... es gibt einen Grund, warum ich dich hierher gelockt habe.“
Sie hatte das geplant? Eva spürte ein Lachen in sich aufsteigen. Dieses lebensunerfahrene kleine Miststück, dass die Realität gerade erst lernte, hatte sie eiskalt hierher gelotst um ... Eva grinste. Es war Zeit, dass sie die Kontrolle wieder übernahm.
„Ich gebe zu, ich hätte dich fast nicht durchschaut.“
„Du hast es also geahnt?“, fragte Solvejg und drehte sich zu Eva.
„Ich habe es wohl eher gespürt“, entgegnete sie, „so machen das Erwachsene.“
Sie wusste, dass sie zu betrunken war, um vernünftige Sätze hervorzubringen, also ließ sie ihren Gedanken freien Lauf. Es war nicht typisch für sie, aber es fühlte sich gut an. Die Vernunft musste einmal draußen warten. Eva wurde regiert von ihrem Instinkt.
„Und ich bin froh, dass wir das nicht mehr verstecken müssen.“
„Das finde ich auch“, setzte Solvejg wieder an. „Ich wollte dich hier haben um dir zu zeigen ...“
„Halt die Klappe!“, entgegnete Eva mit einem Lächeln, legte ihren Arm um Solvejgs Hüfte und zog sie an sich. „Du musst noch lernen, wann man mit dem Reden aufhört und hiermit beginnt.“
Der Kuss war lang und leidenschaftlich. Eva spürte, dass sie hier wieder die Rolle der Erfahrenen übernommen hatte. Solvejgs Lippen waren anfangs unbewegt und es wirkte so, als wüsste sie nicht so genau, was sie als nächstes tun sollte. Doch wie bei allem lernte sie auch hier schnell. Eva hatte das Gefühl, als würde ihr die Kontrolle wieder entrissen, während sie sich küssten. Sie spürte Solvejgs Körper an ihrem, als sie sich langsam bewegte und dabei näher an sie anschmiegte. Die Kälte war verschwunden, und mit ihr alle Bedenken und Ängste. Zumindest für den Augenblick gab es nur eins, was Eva interessierte. Sie unterbrach den Kuss für einen Moment. Während sie Solvejgs Lippen an ihrem Hals und über ihr Schlüsselbein gleiten spürte, machte sie
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