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Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition)

Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition)

Titel: Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Faras
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Kombinatorik bildendes Fach zu wählen. Allerdings kam das nur sehr selten vor, denn um in dieser Disziplin einen Exzellenzgrad zu erreichen, fehlte es den Klonen in ihrer biologischen Anlage an musischer Begabung. Ninive hatte ihren Exzellenzgrad erreicht – mehr noch, ihre Fähigkeiten und ihr Verständnis der Musik gingen weit über den analytischen Aspekt hinaus. Wie weit, das wusste außer Ninive selbst niemand, denn nachdem sie herausgefunden hatte, wie sie selbst Einfluss auf die Neurohemmer in ihrem Hirn nehmen konnte, hatte sie diese bei Bedarf herunter reguliert und damit etwas getan, das ihr als Klon streng verboten war.
    Mit dem Rücken gegen die kühle, holzvertäfelte Abteilwand gelehnt, sah Ninive durch das Fenster hindurch ins dunkle Nichts. Sie konzentrierte sich ganz auf die Musik. Die tiefen Töne eines Ambient-Pianos spürte sie leicht in ihrem Inneren vibrieren, die fragile Melodie einer Violinenstimme drang hingegen nur leise zu ihr durch. Ninive spürte die Schläfrigkeit, die sie noch kurz zuvor so vermisst hatte, langsam wieder in ihr aufsteigen. Sie widerstand der Vernunft, die ihr riet, in ihr Abteil zurückzugehen und sich ins Bett zu legen. Sie drehte den Kopf zur Seite und lehnte ihre Schläfe an die Wand, spürte das langsamer werdende, schwache Pochen ihres Pulses. Ninive schloss die Augen und atmete langsamer.
    Gerade als sie fast im Stehen eingeschlafen wäre, setzte die Melodie für einen halben Takt aus und dann erneut ein. Die Erkenntnis, dass die Musik nicht vom Band kam, sondern von jemandem gespielt wurde, bewegte Ninive dazu, ihre Augen für einen Moment zu öffnen. Und in diesem Moment sah sie die Feuer draußen vor den Fenstern. Es waren mehrere helle, flackernde Lichtpunkte unweit der Bahntrasse, die sich ihrerseits zu bewegen schienen. Ninive stieß sich mit etwas Mühe von der Abteilwand ab und ging näher an das Fenster, um besser sehen zu können. Sie spähte hinaus in die Nacht. Die flackernden Lichter kamen offenbar von Fackeln, die die umliegende Landschaft gespenstisch beleuchteten. Vorbeifliegende Baumkronen wurden in das tanzende Licht getaucht und verschwanden wieder im Dunkeln, kurz darauf öffneten sich wildwachsende weite Wiesen dem Lichtschein. Doch die Quelle des Lichts war nicht zu erkennen.
    Und dann wurde der Zug erschüttert. Es war wie das Grollen eines Erdbebens. Ninive reagierte blitzschnell und fing sich ab, bevor sie das Gleichgewicht verlor. Sie sah den Gang entlang. Die beiden Männer am anderen Ende des Waggons waren durch die Erschütterung hingefallen und standen gerade wieder vom Boden auf, sonst war niemand in Sichtweite. Mehr aus Neugier als aus ernsthafter Sorge um die beiden Mitreisenden ging Ninive zu ihnen hinüber.
    „Alles in Ordnung?“, erkundigte sie sich bei ihnen. Einer der beiden Männer nickte.
    „Was kann das gewesen sein?“, fragte der andere.
    Ninive antwortete nicht und wandte sich zurück zum Fenster. Die Lichter draußen waren verschwunden, und der Zug schien mit unverminderter Geschwindigkeit weiter zu fahren. Sie wartete noch einige Minuten auf dem Gang, doch als auch niemand vom Zugpersonal auftauchte, der die Passagiere über irgendwelche Zwischenfälle informierte, beschloss sie zurück in ihr Abteil zu gehen und es ein weiteres Mal mit dem Schlafen zu versuchen.

04 | SOZIALTAUGLICH
     
    „Wir haben uns in unsere Käfige zurückgezogen. Wir waren dazu bestimmt unsere Freiheit über alles andere zu stellen. Wir sollten aus der Geschichte lernen und nicht die Geschichte zurückspulen. Die Maxime war Fehler zu vermeiden, die bereits einmal gemacht wurden. Und im vergangenen Jahrhundert hat die Menschheit schwerwiegende Fehler gemacht. Angefangen von der Erblast der Industrialisierung über die Radikalität des gesellschaftlichen Wandels, nicht zu vergessen die Unzahl an Kriegen, Genoziden, Kriegsmassakern, die völlige Unterschätzung der Digitalisierung, die völlige Überschätzung des Egos gegenüber dem Kollektiv, die Erfindung des Terrorismus‘, den Aufbau der Börsen und des Schuldenhandels und … ich könnte lange weiter machen. Und auch dieses Jahrhundert fing nicht besser an. Die Dotcom-Bubble, 9/11, der Zusammenbruch Europas, die atomare Fehleinschätzung, die Gleichgültigkeit gegenüber dem Klimawandel, der russische Bürgerkrieg, das Ende der transpazifischen Diplomatie, der große Blackout von 2028, die Fragmentierung des globalen Netzes.
    Und dann kam die Landflucht, der permanente Blackout, der

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