Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition)
muss es ja einer von uns sein. Und drittens habe ich in diesem Bett hier so gut geschlafen wie lange nicht mehr. Auch wenn ich mir die Bemerkung erlaube, dass du dich nicht gerade klein machst.“
„Heute Nacht schlafe ich wieder in meinem Bett“, entgegnete Ninive zerknirscht, doch das bevorstehende Frühstück heiterte sie direkt wieder auf. „Danke, Lilian.“
Sie machten sich über das Frühstück her und schwiegen eine Weile. Ninive beobachtete Lilian amüsiert. Es war ihr anzusehen, dass sie ihr morgendliches Kaffeeritual vermisste. Lilian war so energiegeladen und ungeduldig, dass sie sich mit einem gemütlichen Frühstück nicht so recht anfreunden konnte.
„Ich habe über letzte Nacht nachgedacht“, teilte Lilian schließlich mit. „Ich glaube, dass an Isaaks Geschichte einige Teile fehlen. Ich weiß nicht, ob er sie selbst nicht weiß oder einen Grund hat, nicht alles zu sagen – du weißt ja, dass ich ihm bedingungslos vertraue – aber einige Dinge sind sonderbar.“
„Für mich machte das alles beängstigend viel Sinn“, entgegnete Ninive, „so viele Fragen, die ich mir in meinem Leben nicht beantworten konnte, passten plötzlich in ein Bild. Ich denke auch, dass ich nicht alles weiß, aber vielleicht war er auch nur rücksichtsvoll mich nicht noch mehr zu verunsichern.“
„Das ist der erste nette Satz, den du über ihn sagst“, stellte Lilian fest.
„Ich bin ihm eigentlich dankbar, aber letzte Nacht …“
„Ich weiß, ich habe es miterlebt“, Lilian nickte, „und ich hatte vorher gedacht, ihr Klone könnt solche Gefühle gar nicht haben.“
„Das ist eigentlich falsch. Klone haben diese Gefühle aufgrund ihrer genetischen Anlage sogar zu stark und unkontrollierbar. Erst die Neurohemmer dämmen es soweit ein, dass man uns fälschlicherweise für eine Art Autisten hält. Aber wenn Isaak Recht hat, dann habe ich mein ganzes Leben ohne Neurohemmer verbracht.“
„Okay, aber trotzdem habe ich Ungereimtheiten gefunden.“
„Dann schieß los!“, stimmte Ninive zu.
„Also erst mal … wenn alle Klone auf Isaaks Freundin aufbauen, warum seht ihr dann alle anders aus, habt andere Eigenschaften und … es gibt doch auch männliche Klone, oder?“
„Ja, die gibt es. Aber das kann ich dir erklären. Der genetische Pool für das Klonprojekt wurde ständig erweitert um neues Material einzubringen. Der Teil der DNA, der für die erhöhte Konzentration von Sangre verantwortlich ist, macht nur einen kleinen Teil der Erbanlage aus.“
„Dann ist also maximal ein ganz kleiner Teil von Isaaks Freundin in dir. Alles andere ist doch komplett unwahrscheinlich.“
„Das habe ich auch gedacht, aber er sagte, er hat sich viele Unterlagen besorgen lassen, die die Fälle stark eingrenzen konnten.“
„Aber dennoch. Ein Mensch setzt sich nicht nach hundert Jahren einfach wieder neu zusammen, DNA hin oder her. Ich glaube, er jagt einem Gespenst nach, und dann sind da eure Namen … Nina und Ninive … die haben ihn vielleicht Dinge sehen lassen, die nicht da sind.“
Ninive nickte und dachte nach. Sie versuchte ihre Gedanken von einer Frage zu lösen, die sie schon die ganze Zeit beschäftigt hatte, und die zu stellen sie eigentlich vermeiden wollte. Doch sie konnte nicht anders.
„Lilian, glaubst du an Zufall?“, fragte sie vorsichtig.
„Nein, das fragst du jetzt nicht im Ernst, oder?“, entgegnete Lilian entgeistert. „Dass eure Namen ähnlich sind ist Zufall, dass du dieser Nina ähnlich sein sollst, basiert nur auf der Aussage von Isaak, einem traumatisierten Liebhaber, um es mal deutlich zu sagen. Natürlich gibt es Zufälle, daran muss man nicht glauben.“
„Dann war mein Traum letzte Nacht wohl auch nur Zufall? Ich habe bis auf diesen Traum von der großen Flutwelle nie Träume gehabt, bis auf letzte Nacht … ein lebhafter Traum.“
„Oh! Kam Isaak drin vor?“, erkundigte sich Lilian.
„Ja“, entgegnete Ninive und vermied es, Lilian anzusehen.
„Erstens ist das dein Unterbewusstsein, das ist erklärbar. Und zweitens musst du mir jedes Detail erzählen!“
„Das würde ich lieber gerne vermeiden“, Ninive schüttelte den Kopf und sah auf.
„Du wirst rot“, zog sie Lilian auf.
„Nein, das werde ich nicht. Das kann ich kontrollieren“, Ninive lachte leise.
Lilian warf ihr ein Grinsen zu, und sie beendeten das Frühstück schweigend. Schließlich schob Ninive ihren Teller von sich weg. Sie war satt und für den Moment zufrieden. Lilian schaffte es, sie wie
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