Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition)
einen Menschen zu behandeln und nicht wie einen Klon. Das war sie zuvor nur von Rasmus gewohnt, der jedoch je nach Laune diese angenehme Eigenschaft verloren hatte.
„Ich kann nicht sagen, dass ich mich momentan um ein weiteres Gespräch mit Isaak reißen würde“, griff sie dann das Thema noch einmal auf, „aber wenn ich ehrlich bin, fühle ich mich zu ihm hingezogen.“
„Seit letzter Nacht?“, fragte Lilian interessiert, offenbar war sie froh, dass Ninive das Gespräch nicht auf etwas anderes gelenkt hatte. Vermutlich hatte sie derartige Gespräche mit Martin oder Seamus nicht geführt, mit Isaak ganz offensichtlich nicht, und mit Ilyena … Ninive konnte sich das nur schwer vorstellen.
„Ich weiß nicht. Ich dachte erst, das wäre nur die Nachwirkung des Traums, aber wenn ich an das Gespräch denke … und an die kurzen Begegnungen zuvor. Ich weiß nicht, vielleicht bilde ich mir das nur ein. Es verwirrt mich jedenfalls.“
„Ihr würdet jedenfalls gut zusammen passen“, meinte Lilian beiläufig lachend, „ihr habt beide mächtig einen an der Waffel. Aber mal im Ernst: Werde dir erst mal darüber klar, was du wirklich willst. Nicht dein flatterhaftes Unterbewusstsein oder irgendwelche Neurohemmer-Placebos. Und wenn du dann immer noch scharf auf Isaak bist, dann werde ich dir nochmal in Ruhe erklären, warum das eine verdammt schlecht Idee ist.“
„Warum?“, fragte Ninive verunsichert.
„Also erst mal ist der Gute über hundert Jahre alt.“
„Wenn ich ihm glaube, dass ich Nina bin, dann gilt das auch für mich.“
„Gut gekontert. Aber genau das ist das eigentliche Problem. Er versucht sich von der Nina-Wahnvorstellung zu lösen. Das wird er niemals schaffen, wenn du ihren Platz einnimmst.“
„Aber vielleicht macht das keinen Unterschied, wenn er damit leben kann, dass ich mich daran nicht erinnere, außer in einigen beängstigenden Träumen.“
„Meinst du? Und du kannst damit leben, dass er in dir ein Leben sieht, das du niemals gelebt hast? Eine vergessene Erinnerung ist etwas anderes als eine Erinnerung, die du nie gehabt haben kannst.“
„Aber das Leben ist lange vergangen.“
„Nicht für ihn, Ninive“, Lilian warf ihr ein trauriges Lächeln zu, „hundert Jahre Kälteschlaf sind für ihn wie eine einzige Nacht. Er versucht souverän zu sein, aber er ist noch immer unter dem Einfluss der Dinge, die für uns vor einer Ewigkeit geschehen sind.“
Erneut kehrte Stille ein, die dadurch beendet wurde, dass Lilian begann, die Reste des Frühstücks auf ein Tablett zusammenzustellen.
„Meintest du das ernst, dass wir gut zusammen passen würden?“, fragte Ninive vorsichtig und klopfte sich ein paar Krümel von ihrem Top.
„Oh Mann, du brauchst erst mal eine kalte Dusche, Mädel“, Lilian lachte und stand auf. „Ich bring das Frühstück weg, wir treffen uns nachher in der Messe.“
Sie nahm das Tablett und verließ ihre Kabine. In der Messe stand Seamus beim Abwasch. Der Rest der Mannschaft war nicht zu sehen.
„Morgen Sonnenschein!“, grüßte Lilian und stellte das Tablett neben Seamus ab.
„Hey Kleine!“, gab Seamus zurück und schnappte sich wie selbstverständlich das Geschirr von Lilians Tablett. Lilian sah zu Seamus auf und entschied, dass die Begrüßung in Ordnung ging.
„Danke“, sagte sie dann und nahm ein Tuch zum Abtrocknen zur Hand. „Wie war die Nacht?“
„Kurz aber ereignislos. Ich habe mit diesem Rasmus gestern gesprochen. Ich muss meine Meinung über ihn wohl ändern.“
„Wirklich?“, Lilian zog eine Augenbraue hoch, „wie kommt das?“
„Ich konnte nicht schlafen und bin ins Cockpit um zu sehen, ob er auch keinen Mist macht. Und dann haben wir geredet. Über die Situation, in der wir uns befinden, und über Frauengeschichten“, Seamus warf Lilian ein Grinsen zu.
„Du sprichst mit einem Fremden über unsere Vergangenheit?“, fragte Lilian gespielt empört und stieß ihm den Ellenbogen in die Seite.
„Keine unnötigen Details“, erwiderte Seamus. „Oh, und übrigens, wir fliegen nach Norden. Isaak guckt sich das gerade an.“
„Was? Wo ist er?“
„Na wo wohl? Im Cockpit natürlich“, entgegnete Seamus achselzuckend und sah Lilian nach, die bereits aus der Messe eilte. „Kein Ding, ich kümmere mich um die Küche. Mache ich gerne“, murmelte er.
42 | CHARLES
Das Café, das Bruchot vorgeschlagen hatte, lag gegenüber von dem Ort, an dem Sequana Rasmus zum ersten Mal getroffen hatte. Sie fühlte sich nicht wohl bei
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