Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition)
deutete mit den Händen eine Massage an.
„Warum nicht?“, entgegnete Ninive und drehte ihm den Rücken zu. Sie spürte seine Hände auf ihren Schultern, doch der stechende Schmerz, den sie daraufhin fühlte, entstand in ihrer Brust. Und sie wusste nicht, ob sie diesen als positiv oder negativ in ihrem Hirn ablegen sollte.
45 | COOLRIDGE
„Ja … hallo? … Hallo!? … Ja, mein Name ist Eva Aden, ich … Wie bitte? … Ja genau, ich habe heute Mittag bereits versucht anzuru…“, Eva seufzte. Normalerweise spürte sie einen Anflug von motivierender Aggression, wenn jemand am anderen Ende der Verbindung sie ständig unterbrach. Doch nach einem Tag wie diesem schlug das alles in Resignation um. „Ja, Professor Coolridge bitte“, fuhr sie fort und machte eine Pause in der Erwartung, wieder unterbrochen zu werden. Als das nicht eintraf, wagte sie einen weiteren Anlauf. „Könnten Sie mich bitte mit ihm verbinden, ich bin Teil eines interdisziplinären Teams, das mit dem Professor…“ Sie brach ab, als sie merkte, dass sie sich bereits in der Weiterleitungsschleife befand.
Es war der erste Tag gewesen, seitdem Solvejg bei ihr eingezogen war, an dem sie wieder ganztags in der Klinik arbeitete. Am Morgen war sie noch bester Laune und voll motiviert gewesen, doch bereits wenige Kleinigkeiten, die nicht rund liefen im Laufe ihrer Arbeit am Vormittag, hatten ihr die Laune verhagelt. Mittags hatte sie zudem erfolglos versucht, Professor Coolridge zu erreichen, um ihm einige Fragen zu stellen, die Solvejgs Vergangenheit betrafen.
„Professor?“, fragte sie schließlich, als in ihrem Comdevice ein kurzes Rauschen zu hören war. „Eva Aden, ich hätte ein paar Fragen zu Solvejg. Haben Sie etwas Zeit für mich?“
„Frau Aden“, erklang die raue, tiefe Stimme des Professors. „Schön von Ihnen zu hören. Wie geht es unserer Patientin?“
„Erstaunlich gut. Sie lebt sich in der Welt da draußen fast problemlos ein. Ihr fehlen zwar einige Zusammenhänge und soziale Regeln, aber sie lernt sehr schnell.“
„Finden Sie das wirklich erstaunlich?“, erwiderte Coolridge.
„Nein, eigentlich nicht. Das war nur so eine Floskel.“
„Sehen Sie? Deshalb habe ich Ihnen Solvejg anvertraut. Sie wissen sicher, dass ich der Überzeugung bin, dass nur die echte Welt Solvejg heilen kann. Und eine vertraute Person, die ihr hilft.“
„Hören Sie schon auf, Professor“, Eva musste ein wenig widerwillig lachen, „sonst muss ich am Ende vermuten, dass Sie Solvejg zur Flucht aus der Klinik verholfen haben.“
„Dazu möchte ich lieber nichts sagen“, Coolridge schmunzelte, „aber Sie hatten Fragen, die Sie mir stellen wollten?“
Eva griff nach der Reling der Fähre, als eine größere Welle das Boot durchschüttelte. Das Wetter hatte umgeschlagen. Seit dem Vormittag hatte der Regen aufgehört und die Wolkendecke war endlich aufgerissen. Gleichzeitig hatte aber der Wind aufgefrischt und blies nun stetig elbaufwärts durch die Stadt. Ein Sturm zog über der Nordsee auf, sagten die Meteorologen, in einer Kategorie, die ein solches Unwetter auslösen würde, dass die Ausläufer bis nach Hamburg vordringen würden. Beim letzten Mal waren die Elbbrücken und die Fähren für drei volle Tage gesperrt worden. Der Gedanke daran machte sie wieder trübsinnig.
„Wissen Sie, wer Clef van Ijssel ist?“, platzte es aus Eva heraus. Sie ärgerte sich noch im selben Moment darüber. Sie hatte Coolridge nicht sofort damit konfrontieren wollen, doch ihre Gedanken schweiften ab und machten es ihr schwer, sich auf das Gespräch zu konzentrieren.
„Clef van Ijssel war ein Geschäftsmann aus Amsterdam“, antwortete Coolridge jedoch ohne zu zögern. „Er hat damals die Überführung von Solvejg aus Paris organisiert. Er war auch im Auftrag des Ausschusses zur Interkommunikation damit beschäftigt, Forschungsergebnisse und Resultate neuer experimenteller Projekte zwischen den großen Städten zu arrangieren.“
„Ist van Ijssel tot?“
„Vermutlich. Er war in Amsterdam als es zerstört wurde. Hätte er sich retten können, wir hätten von ihm gehört. Er war ein ziemlich skrupelloser aber dadurch auch erfolgreicher Geschäftsmann, der mehr Reisen innerhalb des Kontinents gemacht hat, als wohl die meisten anderen Menschen.“
„Wer ist Siam?“ Eva hatte sich nun dazu entschieden, das Gespräch möglichst direkt zu führen. Dieses Mal zögerte Coolridge jedoch.
„Es wäre vermutlich wenig effektiv, die Existenz von Siam zu
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