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Soljanka (German Edition)

Soljanka (German Edition)

Titel: Soljanka (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Frost
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Stamm nahm sich vor,
die wichtigen Websites regelmäßig zu checken.
    Er richtete sich auf einen ruhigen Tag in der Redaktion ein, doch
eine Meldung über einen Amoklauf an einer Gesamtschule in Bottrop durchkreuzte
seine Pläne. Der mutmaßliche Täter hatte sich angeblich mit fünf Geiseln im
Lehrerzimmer verschanzt.
    Stamm raste ins Ruhrgebiet, doch als er an Ort und Stelle ankam, war
der Spuk längst vorbei. Der angebliche Amoklauf hatte sich als schlechter
Scherz eines frustrierten Schülers erwiesen, der eine übernervöse Reaktion der
Schulleitung und diverse Falschinformationen durch mediengeile Mitschüler
hervorgebracht hatte. Das Krisengespräch im Lehrerzimmer, aus dem im Zuge einer
mehrstufigen Kolportage eine Geiselnahme gemacht worden war, war mittlerweile
beendet, und die Lehrer bereiteten das Geschehen mit ihren Schülern im
Unterricht auf, während hoffentlich einschlägig geschulte Polizisten dem
Angeber ins Gewissen redeten.
    Stamm blieb trotzdem in Bottrop und versuchte, sich in Gesprächen
mit mehr oder weniger Beteiligten ein umfassendes Bild vom Ablauf des Geschehens
zu machen. Die Mechanismen, die einen banalen Vorgang auf eine derart
verstörende Medienkarriere gejagt hatten, interessierten ihn mehr, als es ein
echter Amokversuch getan hätte. Mit einer Bottroper Schlachtplatte
(Currywurst/Pommes) im Magen und einer fast runden Geschichte im Notizblock
kehrte er am frühen Nachmittag nach Düsseldorf zurück. Es fehlte nur noch die
Analyse eines Kommunikationspsychologen, die er telefonisch einholen wollte.
    In der Redaktion surfte er durch die Websites der Lokalzeitungen.
Nichts Neues über das Russen-Hochhaus. Ergiebiger war sein Posteingang. Die
oberbayerische und die Tiroler Polizei hatten, unabhängig voneinander, seine
Anfrage nach einem Autounfall Ende 2000 endlich beantwortet. Die Österreicher
konnte er abhaken. Zwar hatte es am 4. Dezember 2000 in Tirol tatsächlich
einen tödlichen Verkehrsunfall gegeben, aber dabei war ein Geisterfahrer auf
der Brennerautobahn südlich von Innsbruck offenbar in suizidaler Absicht gegen
einen Sattelzug gerast. Das passte nicht.
    Die bayerische E-Mail nahm Stamm dagegen sofort gefangen. Der
Pressereferent des Polzeipräsidiums Oberbayern-Süd hatte seiner Antwort eine
Pressemitteilung vom 4. Dezember 2000 beigefügt. In der üblichen
technokratischen Polizeisprache wurde der Ablauf eines Unfalls auf der
B 21 zwischen Bad Reichenhall und dem Steinpass an der österreichischen
Grenze geschildert:
    Gegen 17.25 Uhr wurde die Polizei von Zeugen
über einen brennenden Pkw unterhalb der Fahrbahn der B 21 informiert.
Ein in Tirol gemeldeter silbermetallicfarbener Pkw der Marke VW  Passat war von der
Fahrbahn abgekommen und über die Böschung 10 Meter in die Tiefe gestürzt.
Offenbar bedingt durch auslaufende Kraftstoffe, hatte das Fahrzeug Feuer
gefangen. Der 63-jährige Fahrer aus Kitzbühel war in seinem Fahrzeug
eingeklemmt und hatte sich nicht mehr vor den Flammen retten können. Die
Löscharbeiten der Feuerwehr gestalteten sich wegen der abschüssigen Landschaft
am Unfallort schwierig. Anschließend musste die bis zur Unkenntlichkeit verbrannte
Leiche aus dem Autowrack mit Spezialwerkzeug herausgeschnitten werden. Der
ebenfalls schnell an der Unfallstelle angekommene Notarzt konnte nur noch den
Tod des Fahrzeugführers feststellen. Ob er schon während des Unfalls oder in
den Flammen umgekommen war, konnte bis zur Stunde nicht zweifelsfrei
festgestellt werden.
    Auch die Unfallursache konnte mangels
Zeugenaussagen bisher nicht mit Bestimmtheit ermittelt werden. Die
Rekonstruktion des Unfallgeschehens ergab vorläufig folgenden Ablauf: Der Passat
war, aus Richtung Bad Reichenhall kommend, in Richtung Steinpass unterwegs.
Ausgangs einer leichten Linkskurve verlor der 63-jährige Fahrer aus bislang
ungeklärter Ursache die Gewalt über sein Fahrzeug und wurde nach rechts über
die Fahrbahnbegrenzung hinausgetragen. Es ist von unangepasster Geschwindigkeit
auszugehen, möglicherweise begünstigt durch plötzlich einsetzende Reifglätte in
der beginnenden Dunkelheit. Hinweise auf Alkoholgenuss liegen nicht vor. Das
nicht mehr fahrbereite Autowrack musste von einem ortsansässigen Unternehmen
geborgen werden. Es entstand ein Gesamtsachschaden in Höhe von 15.000  DM . Die Bundesstraße musste
während der polizeilichen Unfallaufnahme und der Bergung bis ca. 21 Uhr
voll gesperrt werden. Etwaige Zeugen des Unfallgeschehens werden dringend
gebeten,

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